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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Fusselbart. Er war selbst ganz erstaunt. Und auch Kieseritzky hatte er noch nie so verdutzt gucken sehen, für einen kurzen Moment. Dann wollte er auf Harry losgehen. Aber Maja ging sofort dazwischen.
    »Komm, sei du mal ganz vorsichtig.« Reinhard zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Harry. »Wir haben sowieso noch was zu bereden. Das ist dir klar. Oder?«
    Kieseritzky war seine Schiffermütze in den Nacken gerutscht. Er guckte jetzt wirklich aggressiv, aggressiver noch als gestern bei der Schlägerei mit dem Fährmann von der W.D.R.
    Bitte nicht, dachte Harry, nicht schon wieder eine Schlägerei. Er spürte von gestern noch immer sein Kinn, wo ihn die Faust des Fährmanns getroffen hatte.
    |141| »Reinhard, nicht jetzt«, sagte er.
    »Was gibt es denn da zu glotzen«, pöbelte Kieseritzky den Chefarzt und seinen Pudel an. »Ihr habt doch keine Ahnung. Ihr blickt doch überhaupt nichts, ihr Schnösel. Aber auch gar nichts.«
    Als der nächste Song einsetzte, zog Maja Harry ein Stück weg, um weiterzutanzen. Zunächst umarmte sie ihn nicht ganz so eng.
    »Wir reden noch«, sagte Kieseritzky und schob mit seiner Bierflasche hinter dem weißen Anzug von Jackie her in Richtung Küche.
    »Jaja, piekfeine Gesellschaft hier«, schimpfte er im Hinausgehen noch mal.
    Als er verschwunden war, schmiegte sich Maja wieder an Harry und kreuzte die Arme hinter seinem Nacken. So tanzten sie schweigend eine ganze Weile. Die anderen Leute nahm er überhaupt nicht mehr wahr. Irgendjemand hatte die Lampe bei der Sitzgruppe ausgeschaltet, sodass nur aus dem Raum nebenan etwas Licht hereinfiel und von draußen durch die Gartenbeleuchtung. Der Andy Brehme in dem postgelben Pullover war nach dem hellen Marokkaner selig eingenickt. An die Fenster prasselten unaufhörlich dicke Regentropfen. Und dann schoben sie tanzend in einen kleinen, noch dunkleren Nebenraum. Eigentlich war es nur eine Arbeitsecke, die durch eine Bücherwand von dem anderen Zimmer abgetrennt war.
    »Du bleibst heute hier«, flüsterte Maja ihm ins Ohr. »Oder?«
    »Na ja, kann schon sein.«
    |142| »Bei dem Wetter?« Sie verzog ihre dunklen Lippen zu einem doppeldeutigen Lächeln.
    Und dann war sich Harry nicht ganz sicher, ob sie ihn, bevor sie ihn fester an sich zog, ganz leicht aufs Ohr geküsst hatte. Er war jetzt erregt und erwiderte ihre Umarmung. Er fuhr ihr am Rücken unter das eng anliegende Shirt und spürte ihre Haut. Bei ihren Tanzbewegungen, die für die Musik jetzt viel zu langsam waren, rieben sich ihre Oberschenkel aneinander. Vorsichtig, aber unmissverständlich. Und dann küssten sie sich.
    »Harry«, sagte sie. »Ist das wahr?« Er war auf alles vorbereitet. Nur darauf nicht.
    »Ist was wahr?«
    »Na, was wohl?« Sie reckte sich mit ihrem Mund ganz nahe an sein Ohr, dass es Harry vorkam, als schrie sie ihm ins Ohr. »Die Noldes   ... Warst du das? Echt?«
    Es trafihn wie ein Schlag. Er fühlte sich auf einmal stocknüchtern. Mit seiner Erregung war es abrupt vorbei. Doch automatisch machte er mit Maja im Arm weiter die wiegenden Tanzbewegungen. Er zog seine Hand unter ihrem Hemd heraus. In seinen Handflächen brach ihm der Schweiß aus. Er sagte nichts. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Aber sein Blick musste panisch sein.
    »Du musst keine Angst haben. Was denkst du denn?« Statt des Verführerischen bekam ihre Stimme jetzt etwas Mütterliches, etwas zum Kotzen Mütterliches. »Wir können dir bestimmt helfen, die Bilder loszuwerden.« Sie löste ihre Umarmung etwas.
    |143| »Vor allem müssen wir sie erst mal in Sicherheit bringen. Wo hast du sie überhaupt?«
    Was bildete Maja sich eigentlich ein? Erwartete sie, dass er ihr sagte »Ja, die liegen in meiner Pension in Nebel in dem Schrank mit dem Holzimitat. Lass sie uns doch jetzt einfach gemeinsam holen und verkloppen.« Warum hatte er sich nicht schon nach einem besseren Versteck umgesehen? Sonst würden sie bald entdeckt werden. Von Maja, von Kieseritzky, von seiner neugierigen Zimmerwirtin oder dieser auf dringlichen Silva Scheuermann. Er wollte jetzt möglichst schnell zurück nach Amrum. Aber wie sollte er das hier mit Maja und Kieso regeln?
    Er konnte überhaupt nicht richtig denken. Sollte er Maja die Wahrheit sagen? Wie viel wusste sie überhaupt? Er entschied sich dafür, erst mal nur zuzugeben, dass er auf Amrum unter falschem Namen abgestiegen war. Er nannte ihr auch seinen neuen Namen, Harry Heide. Aber ohne es auszusprechen, hatte er damit den Nolde-Diebstahl

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