Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
ja sooo kultiviert.«
    Gypsy-Girl versuchte, Harry eines ihrer Metallgehänge ans Ohr zu klemmen.
    »Steht dir gut«, sagte sie rauchig und guckte dabei völlig ernst. Harry musste kichern. Das Gras zeigte Wirkung.
    »Du musst mir unbedingt deine Bilder zeigen.« Gypsy-Girl löste ihr Kopftuch und fuhr sich mit den beringten Fingern durch die üppigen Haare. Dabei gab es ein sattes Klappern der dicken metallenen Armreifen.
    Die Verständigung wurde schwieriger. Jemand hatte »Supertramp« aufgelegt und voll aufgedreht. Die Zigeunerin schwebte zwischen mehreren Tanzenden durch den Raum.
    »Was ist denn das schon wieder für ’ne Mucke«, beschwerte sich der Bärtige. Die Pilotenbrille trug Brigitte Bardot inzwischen.
    |138| Als ›Rikki don’t lose that Number‹ von Steely Dan spielte, zog Maja den bekifften Harry aus dem weißen Sofa hoch. Gypsy guckte weggetreten. Und Maja sang, ohne Harry richtig anzugucken, den Anfang des Songs mit:
    »   ... I thought our little wild time had just begun   ... «
    Es war so etwas wie ihr gemeinsamer Song gewesen vor ein paar Jahren. Auf der Party in Majas WG in der Karolinenstraße, ein paar Tage nachdem sie sich auf der HBF K-Fete kennengelernt hatten. Der Sound von Steely Dan passte irgendwie zu den gravitätischen Drehungen der beiden großen Tonbandspulen auf dem senkrecht stehenden Tonbandgerät im Gemeinschaftszimmer der WG.   Auf dieser Party wurde auf Majas Wunsch immer wieder ›Rikki don’t lose that Number‹ gespielt. Aber das erste Mal geküsst hatten sie sich erst eine Verabredung später, in der ersten Reihe, seitlich rechts, direkt vor der Leinwand im »Abaton«. Unter den verzerrten Gesichtern von Isabella Rossellini und Dennis Hopper. Die schlechte Sicht war Harry und Maja beim Küssen egal gewesen.
    Eine Strophe tanzten sie getrennt. Harry hatte zunächst Mühe, seine Bewegungen zu koordinieren. Einmal schwebte die Zigeunerin mit geschlossenen Augen zwischen ihnen hindurch. Neben ihnen tanzten der Bärtige und die Blondine, nein, sie standen nur und küssten sich so ausgiebig, als wären sie allein. Die Pilotenbrille hatte sie sich ins Haar gesteckt, und mit Brigitte Bardot hatte sie beim exzessiven Küssen keine Ähnlichkeit mehr. Hinter ihnen bemühte sich der penetrant |139| grinsende Chefarzt, einer der jungen Pudelfrisuren mit zackigen Tanzbewegungen seine Jugendlichkeit zu beweisen.
    »Rikki don’t lose that number. You don’t wanna call nobody else.« Maja sang den Refrain mit, dicht an seinem Ohr und leicht daneben. Sie tanzten eng umschlungen. Ihr Leinenjackett hatte sie ausgezogen. Sie trug nur ihr schwarzes enges Shirt. Auf seinen Handflächen spürte er die unterschiedlichen Strukturen der Stoffe. Die glatte weite Hose unter dem Gürtel, und mit der anderen Hand darüber das gröbere, leicht geriffelte Shirt. Ihr süßlich volles, etwas muffiges Parfüm mischte sich mit Schweißgeruch. Und wenn er jetzt seinen Kopf zurücknähme? Harry war sich nicht sicher, ob er Maja wirklich küssen wollte.
    »Was soll denn das hier werden, wenn’s fertig ist«, pöbelte Kieseritzky. »Romantisches Revival, oder was?«
    Er stand auf einmal leicht schwankend vor ihnen und schubste die beiden Tanzenden, dass auch sie ins Schwanken gerieten. Harry und Maja lösten sich aus ihrer Umarmung.
    »Komm, Kieseritzky, alles easy«, sagte Harry. Er löste sich von Maja, die immer noch einen Arm um ihn gelegt hatte.
    »Nee, nä, Reinhard«, sagte sie. »Du hast ja mal wieder fast gar nichts getrunken. Ich hab das langsam satt. Echt.«
    »Ja, und dir ist wohl gar nichts peinlich.« Kieso machte eine fahrige Handbewegung durch die Luft und setzte dabei sein dämlichstes Grinsen auf. »Harry hat es doch an der HBFK schon nicht gebracht.«
    |140| »Du bist so was von krank«, giftete Maja zurück.
    »Du hattest damals doch nichts Eiligeres vor, als ihn zu verlassen.«
    »D-d-deine Leuchttürme und die F-f-f-f-   ... – scheiße – deine Scheiß- F-Friesenhäuser mach ich dir mit links.« Warum, verdammt noch mal, musste Harry in den unpassendsten Momenten stottern.
    »F-f-f-f«, ahmte Kieseritzky ihn nach und guckte angriffslustig.
    Schlagartig stieg in Harry die Wut auf. Das Stottern machte ihn immer wütend. Er holte aus und langte ihm voll eine. Damals auf dieser Fete, als Kieso ihm Maja ausgespannt hatte, wollte er ihm schon eine scheuern. Diesmal überlegte er keine Sekunde. Er langte einmal kurz mit der flachen Hand in diese überheblich grinsende Fresse mit dem

Weitere Kostenlose Bücher