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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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abgerundeten Fenster und zwischendurch immer wieder ganze Wasserfontänen, die an den Scheiben herunterliefen, dass die Dunkelheit |147| in Schlieren verschwamm. Das kleine Steuerhaus bot etwas Schutz. Aber beruhigend fand Harry das nicht.
    »Alles klar«, brüllte Kieseritzky. Er übernahm das Ruder. Bestens gelaunt. Nur seine Gesichtsfarbe sah gar nicht gut aus.
    »Ich hab mir Folgendes gedacht«, begann er, ohne Harry anzusehen und betätigte den Motorhebel, worauf das Tuckern schneller wurde. Der Kutter nahm nicht unbedingt mehr Fahrt auf, sondern klatschte nur heftiger auf die Wellen.
    »Wir bringen die Bilder erst mal zu mir rüber in mein Atelier nach Rantum.«
    »Von welchen Bildern redest du?« Harry wusste natürlich sofort, worum es ging.
    Kieseritzky grinste. Seine Gesichtsfarbe ging leicht ins Grünliche.
    »Die Sache muss sich erst mal beruhigen. Im Augenblick bist du in allen Zeitungen.«
    Der Kutter stürzte in ein tiefes Wellental: Guschhh.
    »Wenn keiner mehr davon redet, suchen wir in aller Ruhe einen guten Käufer. Ich hab mich mal informiert, was so ein Nolde jetzt wert ist. Das Ölbild dürfte bei einer guten Viertelmillion liegen. Hast du nicht irgendwelche Kontakte? Du hast doch mal einen falschen Ahlen verkauft. Damals.«
     
    Er hatte nicht nur einen, er hatte mehrere Ahlen gefälscht und an einen Hehler verkauft. Es war am Ende ihres Studiums gewesen, und Albrecht Ahlen hatte ihn provoziert. In der Büroetage, in der Ahlen mit mehreren |148| Leuten wohnte, wurde irgendein Geburtstag gefeiert. Das Wohnatelier lag im alten Teil der Hamburger Innenstadt in einem der traditionellen Kontorhäuser mit riesigen Fensterfronten, ein großer und vor allem hoher Raum von zwei- oder dreihundert Quadratmetern. Es gab keine richtigen Wände. Die einzelnen Zimmer waren nur durch Stellwände abgetrennt, die oben offen waren. Hier hörte jeder alles, vor allem die Worte des großen Albrecht Ahlen. In der Küche, einem Raum mit hohen Fenstern zur Straße hin, stand verloren ein versiffter Herd, und in einer Ecke hing ein zu kleiner vergilbter Spülstein. An dem großen Holztisch mit billigen alten Küchenstühlen gab es eine lätschige Lasagne und Dosenbier von Aldi. Unter dem Beifall mehrerer seiner Jünger, Kieso war dabei und ein Galerist aus der Admiralitätsstraße, schwadronierte Ahlen über das Leben und erklärte den Schunkelhit ›Polonaise Blankenese‹ zur wahren Kunst.
    »Hier fliegen gleich die Löcher aus’m Käse   ... Genial. Das ist der wahre Punk«, feixte er immer wieder. »Nur Harry hat es noch nicht mitbekommen. Was hörst du denn so? Keith Jarrett?«
    Ahlen guckte überheblich. Und dann präsentierte er das neuste seiner wüsten, mehrere Meter hohen Bilder.
    »Na, was sagst du?« Und dann zu den anderen: »Das kriegt Harald schon nicht hin, weil es nicht in seine Zweizimmerwohnung passt.«
    Die Geburtstagsgesellschaft konnte sich vor Lachen über diesen müden Gag gar nicht wieder einkriegen. Kieseritzky, damals noch in schwarzem Rollkragenpullover |149| und schwarzer Lederjacke, hatte besonders laut gelacht. Am schlimmsten war, dass Ahlen »Harald« gesagt hatte. Danach hatte Harry wütend auf die Schnelle gleich zwei Ahlen in seiner damaligen Phase gemalt und – die Farbe war kaum trocken – auch prompt verkauft. Der Zeitpunkt war günstig. Über Ahlen waren die ersten Kritiken in den großen Feuilletons erschienen, und Bilder von ihm waren knapp. Harry hätte einfach so weitermachen können. Aber er hatte dann doch Angst gehabt, ertappt zu werden. Und außerdem wollte er seine eigenen Bilder malen.
     
    Kieso ließ das Steuerrad durch die Hände gleiten. Die »Elsa« drehte sich ein Stück quer. Das Schiff schnitt die Wellen jetzt an und kam vom Rollen in ein leichtes Stampfen.
    »Das ist unsere große Chance«, schrie Kieseritzky gegen den peitschenden Regen an.
    Was bildete dieses Arschloch sich eigentlich ein? Die ganze Geschichte nahm eine ungute Entwicklung, fand Harry.
    »Wir verkloppen die Noldes. Und dann machen wir was Schnuckeliges in Kampen auf. Kleine Kneipe mit Galerie. Wir können malen, Harry. Und Maja brät uns frische Schollen. Ihr scheint euch doch immer noch ganz gut zu verstehen.«
    Kieso drehte sich zu Harry um. Sein Grinsen erstarrte jetzt zu einer Fratze. »Übernimm du noch mal«, riefer und überließ Harry das Steuer. »Ich muss mal Vorpiek lenzen.«
    »Bitte?«
    |150| »Pinkeln! Aber pass auf, dass wir die Wellen nicht zu sehr längsseits

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