Flucht übers Watt
verschwinden.
»Ein Kommissar aus Kiel. Aber Hark Tadsen war auch dabei.« Der Polizeibesuch hatte Meret Boysen etwas durcheinandergebracht. Ihr Gesicht unter dem Haarkranz zeigte hektische rote Flecken.
»Wissen Sie, Herr Heide, das haben wir hier auch noch nie gehabt. All die Jahre nich.«
Dass die Pensionswirtin so verstört war, beruhigte Harry sogar.
»Und ich hab die Pension seit neunzehnhunderteinundsechzig. Gleich den ersten Winter hatten wir die große Sturmflut.«
»Was wollte die Polizei denn?«
»Ach so. Ja. Es ist wegen dem toten Maler. Ob Sie den kennen.« Sie strich sich mit beiden Händen über die Kittelschürze und guckte Harry etwas ratlos an.
»Da konnte ich dem Kommissar ja nu auch nix sagen.«
Obwohl es ihr sicherlich gar nicht passte, die Polizei im Haus zu haben, wirkte sie jetzt fast weniger streng.
»Sie sollen sich auf jeden Fall mal bei dem Kommissar melden. Er hat ein Zimmer im ›Hotel Friedrich‹. Kommissar Rährä ... Er hat seinen Namen gesacht. Aber ich kann mir das auch nicht alles merken.«
»›Hotel Friedrich‹?«
»Kennen Sie doch! Gleich um die Ecke.«
»Ich glaub schon.«
»Ach so«, fiel Frau Boysen noch ein. »Und dann hat sich der Kommissar noch mit der Scheuermann-Dings unterhalten. ’ne ganze Zeit war er bei ihr oben in der |185| ›Seeschwalbe‹. Wenn Sie mich fragen, die hat sich ihm regelrecht aufgedrängt.«
Warum musste die dumme Kuh sich so aufspielen, dachte Harry. Was hatte sie dem Kommissar wohl erzählt? Er befürchtete das Schlimmste. Silva Scheuermann hatte ihn als Einzige gestern Nacht völlig durchnässt zurückkommen sehen. Hatte sie erkannt, dass er nur vom Regen niemals so klatschnass sein konnte? Eben hatte er noch geglaubt, alles im Griff zu haben. Aber jetzt wurde er doch unruhig. Was die neugierige Meret Boysen dem Kommissar erzählt hatte, konnte er nur ahnen. Schließlich hatte sie sich bei seiner Ankunft über sein spärliches Gepäck gewundert.
»Ich hab mehrmals Ihren Namen gehört und den von dem Maler wahrscheinlich.«
»Kieseritzky?«
»Kann sein. Aber so richtig konnte ich das nicht verstehen. Die Scheuermann hatte die Tür gleich zu.«
Jetzt wurde ihr Blick wieder forscher und vorwurfsvoll. »Sie haben ja wohl mit ihr zusammen Tee und Rum getrunken?«
»Tee? Mit Rum?« Was hatte diese idiotische Scheuermann da bloß erzählt?
»Mich geht’s ja nichts an«, sagte Meret Boysen.
Er stieg die Treppe an dem Wäscheklammer-Leuchtturm vorbei nach oben.
»Jetzt haben wir also schon die Polizei im Haus. So weit is es nu«, brummte die Pensionswirtin, während sie aufquietschenden Sohlen im Fernsehraum verschwand. Und dann hörte Harry sie noch murmeln:
»Es war irgendein Fisch. Wat für ’n Fisch war dat |186| bloß. ’n Fisch von hier war dat nich.« Was sollte denn das bedeuten?
In seinem Zimmer wartete der nächste Schock auf Harry. Er traute seinen Augen nicht. Auf dem gemachten Bett lag eine kleine Tüte mit Kräutern und ein Schokoladenherz in rotem Stanniolpapier. Und daneben: Eine N-o-l-d-e-Postkarte. Ein Aquarell mit einem orange zerlaufenen Himmel über einer dunklen Marschlandschaft. Harry war fassungslos. Er drehte die Karte um. Auf der Rückseite stand in gut lesbarer schöner Handschrift quer über beide Felder der Karte geschrieben:
»G u t e B e s s e r u n g ! I h r e S i l v a.«
War diese Frau von allen guten Geistern verlassen? Was hatte die Hexe vor? Die Nolde-Postkarte war ein unmissverständlicher Hinweis, das sie etwas wusste oder zumindest ahnte. Was in aller Welt hatte sie diesem Kommissar erzählt? Wie war sie überhaupt in sein Zimmer und an den Kleiderschrank gekommen? War sein Zimmer eben eigentlich abgeschlossen gewesen? Er hatte den Zimmerschlüssel mit dem dicken Holzanhänger noch in der Hand. Aber hatte er damit auch die Tür aufgeschlossen? Er wusste es einfach nicht mehr. Wenn er heute nicht von der Insel wegkam, musste er schnellstens seinen Nolde in Sicherheit bringen. Mit Herzklopfen fühlte er hinter dem Bettpfosten nach dem Schrankschlüssel. Er hatte ihn gleich zwischen den Fingern. Er schloss den Schrank auf. Die Bilder waren da. Alles so, wie er es hinterlassen hatte? Ja, doch! Harry war sich sicher.
Er nahm die Neckermann-Tüte mit den ›Feriengästen |187| ‹ aus dem Schrank. Zuvor hatte er vorsichtshalber die Zimmertür abgeschlossen. Er kniete schwankend auf dem durchgelegenen Bett und nahm das Bild mit den Amrumerinnen von der Wand. Das Fachwerkmuster auf
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