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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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der Tapete dahinter war deutlich heller. Er legte das Bild mit der Vorderseite auf die Bettdecke. Auf der Rückseite des Bildes standen mit bräunlicher Kreide ›Öömrang wüfen uun Öömrang‹ und die Zahl 57 geschrieben. So recht verstand Harry den Titel nicht. Das sollte wohl tatsächlich »Amrumerinnen« heißen. »Öömrang« bedeutete Amrum, das wusste er seit den Nordseereisen mit seiner Großmutter. Amrumer Frauen in Amrum? So recht machte das keinen Sinn. Aber das war jetzt egal.
    Harry wischte notdürftig ein paar Spinnweben aus dem Inneren des Rahmens. Er nahm die ›Feriengäste‹, dabei warf die Frau in der Mitte ihm noch einmal einen schnippischen Blick zu, und legte das Bild mit der richtigen Seite nach unten auf die Leinwand der Amrumerinnen. Er verklebte die Ränder mit dem Kreppband, das er in dem Zeitungsladen besorgt hatte. Dann legte er noch eine Doppelseite des ›Inselboten‹ darüber, mit einem halbseitigen Artikel über den »Führungswechsel bei den Föhrer Jägern«. So gut es ging, schob er die Zeitung zwischen Bild und Rahmen und verklebte die Ränder auch hier mit dem Klebeband.
    Harry hängte das Bild wieder an die Wand und kontrollierte, ob es grade hing, parallel zur Fachwerktapete. Die drei Aquarelle steckte er behutsam in den DIN-A 4-Umschlag , den er zwischen die Seiten des |188| ›Inselboten‹ schob. Er passte exakt in den einmal geknickten Zeitungsteil. Schließlich hatte Nolde dieses Format gewählt, um seine ›Ungemalten Bilder‹ jederzeit verstecken zu können. Das passte doch jetzt perfekt. Beim Eintüten fiel Harry auf, wie sehr die Farben der Originale leuchteten im Vergleich zu der Postkarte von dieser idiotischen Scheuermann. Das ganze Paket kam in die Neckermann-Tüte und dann in den Schrank mit der Holzimitation. Den Schlüssel deponierte er wieder hinter dem Bettpfosten.

14
    Harry betrat die Gaststube im »Hotel Friedrich«. Die Mittagszeit war vorbei, obwohl es gerade mal eins war. Es waren kaum mehr Tische besetzt. Der Ober in dem speckigen Kellneranzug guckte abweisend. Neue Gäste, die ihm die vorzeitige Nachmittagspause verpatzten, wollte er, wenn es irgendwie ging, offensichtlich vermeiden. Die gefliesten Tische mit den elektrisch betriebenen Petroleumlampen waren bereits für den Abendbetrieb eingedeckt. An der Wand hing ein ausgestopfter Fisch über einem Bild mit einer norddeutschen Landschaft. Am anderen Ende des Raumes gab es eine wuchtige Bar in »Eiche rustikal«. Die gepolsterten Holzstühle waren im maritimen Stil dunkel gebeizt. Es roch dezent nach Bratfisch.
    Vielleicht hatte er ja auch Glück, dachte Harry, und der Polizist aus Kiel war unterwegs zu Ermittlungen. |189| Nein, er hatte den »Scorpio« in der Hoteleinfahrt stehen sehen. An einem Tisch aß ein junges Paar Bratheringe, und an einem großen Fenstertisch saß ein kleiner älterer Mann vor Sauerfleisch mit Bratkartoffeln. Das erkannte Harry sofort. Mit Sauerfleisch kannte er sich jetzt aus. Das musste der Kommissar sein. Als Harry auf seinen Tisch zusteuerte, wurde der Blick des Kellners nicht unbedingt freundlicher.
    Er entschuldigte sich bei dem kleinen Mann, dass er beim Essen störe und fragte ihn, ob er der Kommissar aus Kiel sei.
    »Hmm«, brummte der Mann kauend und machte ein Zeichen, dass er grade einen vollen Mund hatte.
    »Ich bin   ... Harry Heide.« Für einen Sekundenbruchteil stockte er, aber dann brachte er den Namen ohne Stottern heraus.
    »Die Wirtin meiner Pension, Frau Boysen, sagte mir, dass Sie mich sprechen wollen.« Harry zögerte einen Moment. »Oder passt es jetzt nicht?«
    »Doch, doch, bitte setzen Sie sich. Ich bin hier gleich fertig«, sagte er, obwohl sein Teller noch halb voll war. »Ich bin ja schon froh, wenn ich um Fisch herumkomme.«
    »Mein Name ist Seehase, wie der Fisch.« Da war er also, der Fisch, von dem Frau Boysen gebrummelt hatte.
    Der ungewöhnlich kleine Mann mit dem kurzen Hals guckte reichlich desinteressiert. Er trug ein gelbes Hemd und eine bräunlich gemusterte Wolljacke. Auf dem gefliesten Tisch neben ihm lag ein Elbsegler aus Wildleder mit einem Brokatband. Er sah aus wie ein |190| norddeutscher Rentner auf Kaffeefahrt. Aber er hatte einen süddeutschen Akzent. Vielleicht hessisch, dachte Harry.
    »Da haben Sie sich ja das richtige Wetter für Ihren Urlaub ausgesucht. Sie machen doch Urlaub? Oder?«
    »Ja   ... ein paar Tage.«
    »Na, für mich wär das nichts, schon dieser Wind. Entsetzlich.« Er kaute noch ein paarmal auf

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