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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem letzten Stück Sauerfleisch herum. »Mir steckt die Schiffsfahrt immer noch in den Knochen. War ja wohl auch das einzige Schiff heute.«
    Der Mann war wirklich auffällig klein, fand Harry. Das war ganz sicher der kleinste Kommissar Norddeutschlands.
    »Darf es hier noch was sein?«, fragte der Kellner schlecht gelaunt. »Aber die Küche hat schon Feierabend.«
    »Einfach ’ne Tasse Kaffee.«
    »Sie melden sich ja prompt«, sagte der Kommissar zu Harry und schob den Teller mit ein paar Fleisch und Geleeresten ein Stück von sich weg. Harry fragte sich, ob sein schnelles Erscheinen übereifrig wirkte. Hätte er sich doch etwas Zeit lassen sollen?
    »Sie sind bekannt mit   ... «, Kommissar Seehase machte eine kurze Pause.
    Er legte die wildlederne Kopfbedeckung beiseite, klappte den darunterliegenden Pappordner auf und nahm eine überdimensionale Hornbrille aus einem Etui.
    »Reinhard Kieseritzky«, las er ab und fuhr sich mit |191| der Zunge durch den Mund und über seine makellosen falschen Zähne.
    »Ja.« Harry sah ihn prüfend an. Der kleine Kommissar war mit seinen Zähnen beschäftigt. Einen sonderlich engagierten Eindruck machte er nicht.
    »Schrecklich. Ich hab schon davon gehört.« Harry wusste nicht recht, wie er reagieren sollte.
    Dass er Kieso einfach so hatte über Bord gehen lassen, war ihm selbst richtig unheimlich. Aber was hätte er tun sollen? Er hatte ihn nicht retten können. Und Kieseritzky hatte sich schließlich wie das letzte Arschloch benommen. Er wollte an seinen Nolde ran. Irgendwie hatte er es verdient, der gierige Sack.
    Gegenüber dem Kommissar musste sich Harry natürlich betroffen zeigen. Aber übertreiben wollte er auch nicht.
    »W-weiß man schon, wie es passiert ist?«
    »Sie sind gestern zusammen auf einer Party gewesen?« Seehase nahm die große Brille wieder ab.
    Harry sah den Kommissar kurz an, dann guckte er auf die blau-weißen Fliesen auf dem Tisch.
    »Sie haben die Party auch zusammen verlassen?« Seehase drückte mit der Zunge gegen seine Vorderzähne und ließ Luft hindurchzischen.
    »Ja. Reinhard wollte mich unbedingt mit seinem Kutter zurück nach Amrum bringen. Das hat er dann auch getan. Er hat mich in Steenodde, also hier auf Amrum, abgesetzt.«
    Harry hatte sich das vorher schon zurechtgelegt. Zu leugnen, dass er mit Kieso zusammen losgefahren war, wäre sinnlos gewesen. Mehrere Leute auf der Party |192| hatten sie gemeinsam gehen sehen. Und er war schließlich auf Amrum angekommen. Wie hätte er nachts sonst von der einen Insel auf die andere kommen sollen?
    »Aber es muss doch recht stürmisch gewesen sein.« Doch, der Dialekt klang hessisch. Oder pfälzisch? Aber vielleicht war es auch nur das Problem mit seinen Zähnen.
    »Bringen Sie mir bitte auch eine Tasse«, sagte Seehase, als der Kellner Harrys Kaffee brachte.
    »Gab es einen Grund, warum Sie in der Nacht unbedingt nach Amrum zurückmussten? Bei diesem Sturm?«
    Harry starrte auf die Kacheln, auf denen eine Walfangszene dargestellt war.
    »Nein. Es gab keinen Grund. Aber Reinhard Kieseritzky bestand darauf, mich nach Amrum zurückzubringen. Ich selbst konnte das Wetter nicht recht einschätzen. Und dann war es schon zu spät.«
    »Na, also mir reicht schon so eine Fährfahrt.« Er zutschte mit der Zunge an seinem Gebiss herum.
    Dieses Geräusch machte Harry nervös. »Wissen Sie, ich mach mir jetzt Vorwürfe, dass ich ihn nicht davon abgehalten habe, mich nach Amrum zurückzubringen.« Er wollte dem Kommissar den Eindruck vermitteln, dass ihm die Sache naheging.
    »Herr Heide«, sagte Seehase und Harry begann sich langsam an seinen neuen Namen zu gewöhnen. »Auf der Party soll es Streit gegeben haben zwischen Ihnen beiden.«
    Harry wunderte sich, wie gut Seehase informiert |193| war. Irgendjemand von der Polizei musste mit den Partygästen gesprochen haben.
    »Nichts von Bedeutung. Wie soll ich sagen? Er war vielleicht ein bisschen eifersüchtig. Ich hab mit seiner Freundin getanzt.«
    »Sie sollen ihn geschlagen haben.«
    »Nein, nicht richtig geschlagen. Das war eher eine freundschaftliche Rangelei.«
    Ganz so desinteressiert, wie Harry dachte, schien der kleinste Kommissar Norddeutschlands wohl doch nicht.
    »Hat Ihr Freund Reinhard Kieseritzky einen deprimierten Eindruck gemacht? Litt er an Depressionen?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber ich habe auch keinen Kontakt mit ihm gehabt, außer gestern und vorgestern.«
    »Aber er soll auf dieser Party allerhand getrunken haben?«
    »Ja, das hat

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