Flucht übers Watt
sein. Irgendwo hab ich den schon mal gesehen.«
|197| »Wissen Sie wann und wo?«
»Ist der vielleicht von der Fährgesellschaft? Dann werde ich ihn wohl auf der Fähre gesehen haben. Ich glaub, ich weiß es. Er war auf der Fähre. Vor drei Tagen.«
»Haben Sie ihn danach noch mal gesehen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»So. Nicht, dass Sie wüssten.«
Harry aschte seine Zigarette ab, obwohl sich noch gar keine Asche wieder gebildet hatte. Aus Verlegenheit.
»Das war’s dann für den Moment, Herr Heide.« Er klappte seinen Pappordner zu. »Erreiche ich Sie in den nächsten Tagen in Ihrer Pension, falls ich noch eine Frage habe? In der ›Nordsee ... ‹?«
»›Nordseeperle‹. Ich bin noch die ganze Woche auf Amrum«, log Harry. Dabei wollte er hier möglichst schnell weg.
Bisher war er eigentlich davon überzeugt gewesen, dass man ihm nichts nachweisen konnte. Kieseritzky hatte ihn auf Amrum abgesetzt und danach wieder abgelegt in Richtung Sylt. Niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen. Außer diese bescheuerte Schnepfe in ihrem afrikanischen Festgewand. Sie hatte gesehen, dass er völlig durchnässt war. Aber was bedeutete das schon?
Wenn Seehase ihn allerdings mit dem Nolde-Diebstahl in Verbindung brächte, würde es kritisch für ihn. Schließlich hatten die Zeitungen schon einen Zusammenhang zwischen dem vermissten Fährmann und dem Kunstraub konstruiert. Und im Museum hatten |198| ihn mehrere Leute gesehen. Nicht nur die dusselige Putzfrau. Auch die Kassiererin im Wollponcho und das ältere Besucherpaar. Harry war sich gar nicht mehr sicher, ob der kleine Kommissar diese Leute nicht doch irgendwann ausfindig machen würde.
»Bevor Sie die Insel verlassen, melden Sie sich bitte bei mir«, sagte Seehase. »Sie wissen ja, wo Sie mich finden.« Er machte eine bedrohliche kleine Pause. »Aber Sie kommen hier im Augenblick ja sowieso nicht weg. Der Fährverkehr ist ja wohl erst mal eingestellt.«
Harry hatte das Gefühl, er guckte dabei fast triumphierend, als wollte er sagen: Junge, du hast keine Chance. Ich hab dich. Du sitzt hier in der Falle.
Harry wollte seinen Kaffee bezahlen. Aber von dem schlecht gelaunten Ober war nichts mehr zu sehen. Er rauchte seine Zigarette zu Ende.
»Und ich weiß, wo ich Sie finde. Für mich wäre das ja nichts. Ich komm ja nicht von hier.«
Das Verhör war beendet. Jetzt geriet der kleinste Kommissar Norddeutschlands ins Plaudern.
»Vor zwanzig Jahren bin ich nach Kiel versetzt worden. Aber nächstes Frühjahr ist Schluss. Dann werd ich pensioniert und zieh mit meiner Frau an den Bodensee.«
»Bodensee. Ist bestimmt schön.«
»Ja, herrlich. Eine Wohnung haben wir schon, in Lindau. Mitten in der Altstadt.«
Harry drehte sich nach dem Kellner um, doch der blieb verschwunden.
Er drückte seine »Camel« in dem Aschenbecher aus, |199| kramte Kleingeld heraus, legte es auf die Fliesen mit der Walfangszene und verabschiedete sich von Seehase. Im Eingang kam ihm ein anderer Polizist entgegen, in einer grünen, eine Spur zu knapp sitzenden Uniform. Ein Hüne von fast zwei Metern, blond mit geröteten Wangen, ein Nordfriese wie aus dem Touristikprospekt. Das musste der viel zitierte Hark Tadsen sein, der Nebeler Dorfbulle. Harry grüßte flüchtig. Der Polizist nickte kurz und etwas träge.
Als Harry auf den Uasterstigh heraustrat, blies ihm ein eisiger Wind entgegen. Sein Gesicht wurde augenblicklich kalt. Am ganzen Körper fröstelte ihn. Sein Hals und sämtliche Neben- und Stirnhöhlen taten weh. Er war vollkommen verschwitzt. Das hatte er während der Befragung in der überheizten Gaststube gar nicht wahrgenommen. Er wollte erst mal in die Pension fahren und in Ruhe überlegen, was zu tun war. Nur nichts übereilen. Es war schon ärgerlich, dass es ihm nicht gelungen war, Amrum vor der Ankunft des Kommissars zu verlassen. Wenn er jetzt plötzlich verschwände, dann würde dieser Seehase möglicherweise nach ihm fahnden lassen.
15
Die neue Wirtin der »Nordseeperle«, der blonde Besen, hat tatsächlich recht. Hinter der Glastür des »Hüs Raan«, des kleinen weißen Hauses im Uasterstigh, hängt ein Schild: »Geöffnet Mittwoch 15 – 17 Uhr«.
|200| »Haben wir ja Glück, dass sie überhaupt Kunden empfangen«, sagt Harry.
»Die möchten ihre Sachen offenbar gern behalten.« Zoe lacht mit Blick in das Schaufenster. »Sieht aber auch wirklich nett aus.«
Durch das große Fenster ist der ganze Ladenraum zu überblicken. Auf einem rustikalen
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