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Fluchtpunkt Aqualung

Fluchtpunkt Aqualung

Titel: Fluchtpunkt Aqualung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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folgen.
    »Du hast ja keine Ahnung, Bürschchen!« Yaku brüllte. »Kriechst nach neunzehn Jahren aus deiner Höhle unter dem Eis und machst den Django! Ich warne dich, Venus Tigern! Bleib von deinem Brüderchen weg! Sonst lebst du nicht mehr lange! Der Hosenscheißer ist doch …!«
    Er verstummte jäh, denn eine Gruppe Kalosaren kehrte zurück, etwa zwei Dutzend. Die vier oder fünf der Vorhut trugen Wurfspeere, der Waldläufer und der Graupelz waren dabei. Von den anderen hatten einige ihre Blasrohre gezückt. Die hinteren zerrten fünf nackte Gestalten mit sich – Menschen.
    »Heilige Milchstraße …!« Starr vor Schreck hielt Yaku sich fest.
    Auch Venus und Plutejo hörten auf zu klettern.
    Die Kalosaren schleppten die Gefangen bis hinter den Großen mit dem grünen Umhang.
    Dort stießen sie die vier Männer und die Frau ins Ufergras. Sie waren an den Händen gefesselt.
    Der Große nahm die Arme von der Brust, wandte den Schädel, warf einen flüchtigen Blick auf die Nackten und deutete auf die Frau. Zwei Kalosaren rissen sie hoch und zerrten sie vor ihn. Einer packte ihr Haar und zog ihren Kopf in den Nacken. Sie schrie in Todesangst.
    »Nein!!« brüllte Yaku. Auch die Männer schrien. Einer wollte aufspringen, der Waldläufer aber stieß ihn mit dem Speerschaft ins Gras zurück. Der große Kalosare hielt plötzlich eine Klinge in der Hand. Er holte aus und zog sie der schreienden Frau durch die Kehle …

 
    5.
     
    Manchmal und immer nur für kurze Zeit verdichtete sich etwas in ihm zu der Vermutung, seine Gedanken wären vielleicht doch mehr als nur zufällige Buchstabenkolonnen, Empfindungsgewitter und bedeutungslose Kombinationen von Bilderfetzen.
    In solchen Augenblicken sah er zum Beispiel ein würfelförmiges Sichtfeld unter einer Frontkuppel voller Stalaktiten aus Titanglas und Nebel, und in dem sieben bis hundertsiebzig Kilometer großen Würfel brodelte eine Suppe aus Farben, in deren buntem Dampf er weder Gelb noch Rot noch Blau entdecken konnten. Die Farben dagegen, die er sah, die gab es gar nicht.
    Oder er fand das Handgelenk, das er festhielt, schmerzhaft heiß und konnte es dennoch nicht loslassen. In einer Brandblase – vielleicht war es auch Dampf, der von kochendem Gewebe aufstieg – vereinigte sich das fremde Handgelenk für kurze Zeit mit der eigenen Hand. Alles war gut in solchen Momenten.
    Oder er ließ seinen Blick den fremden Arm hinaufwandern, sah die Knochen, die Blutgefäße und die Sehnen unter der Haut und wunderte sich, daß er die Entfernung der Schulter, die zu dem Arm gehörte, genau angeben konnte: Siebenhundert Kilometer. Sie lag natürlich außerhalb des Schiffes. Der Kopf, der zu der Schulter gehörte allerdings – und das erschien ihm irgendwie paradox – ruhte zum Greifen nahe auf dem schmalen Wulst zwischen Querholm und Triebwerk. Das Gesicht in, auf und zwischen dem Kopf – zwischen dem Kopf …? – war das Gesicht eines Säuglings: rosig, kugelrund, kleiner Saugmund. Dennoch war es ein vertrautes Gesicht, das von Pazifya Corales nämlich. Er identifizierte sie augenblicklich.
    Oder er erkannte plötzlich die Züge des Zweiten Navigators in den farbigen Dampfschwaden, die aus dem Sichtfeldwürfel in das gesamte, manchmal kaum noch zehn Zentimeter durchmessende Schiff hinein waberten: Gaetano Sardes. Sardes' Schädel baumelte an einem ziemlich langen Hals irgendwo jenseits der Balustrade vor Ebene II. An seinem Hals hingen meterlange Arme mit kilometerlangen Fingern. Die wiederum gehörten einem Körper, dessen Kopf unter Verons Rücken lag. Er wunderte sich außerordentlich, den Besitzer des Schädels trotzdem identifizieren zu können – es war Vera Park –, denn schlohweißes Haar wucherte darauf, und die graue Gesichtshaut war zerknautscht wie altes Leder, das zu lange in der Sonne gelegen hatte.
    Was er in solchen Augenblicken der Klarheit – jedenfalls hielt er es für Klarheit – selbstverständlich fand, war die unablässige Veränderung von Parks und Sardes' Schädeln: Sie oszillierten zwischen der Physiognomie von Haifischen, Primaten, Vogelähnlichen und Reptilien hin und her. Fast schien es, sie würden durch die phylogenetischen Epochen der Kreatur fließen.
    Irgendwann dann, nach einer Nanosekunde oder zehn Millionen Jahren, erfüllte Geschrei das Universum. Wieder kämpfte sich etwas in ihm zu der Vermutung durch, das Geschrei könnte einen Sinn haben. Und diesmal wurde die Vermutung zur Gewißheit und blieb. Veron sprang auf und schrie:

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