Fluchtpunkt Atlantis
können, aber ich wollte mir den Anblick ersparen.
Sedonias Körper nahm mir zudem die Sicht auf den Vogel. Es war dunkel, und ich zog mich nicht weiter zurück. Es begann das Warten.
Sedonia blieb nicht ruhig. Sie hockte auf der Stelle, sie sprach noch immer, aber sie bewegte jetzt ihre Hände. Wenn mich nicht alles täuschte, sogar in der Nähe des Kopfes oder direkt an ihm. Ihre Finger hinterließen keine Geräusche, nur die Stimme war zu hören. Ich bekam auch mit, dass sie leise weinte, denn das Schicksal des Adlers rührte auch sie.
Aber sie folgte den Gesetzen dieses rätselhaften Kontinents. Einmal schrie der Adler auf. Ich zuckte zusammen, sah auch, wie er mit seinen Krallen über den Boden scharrte, weil er sicherlich starke Schmerzen verspürte, aber er wehrte sich nicht gegen den Griff der Blinden.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Jedenfalls ging durch ihren Körper plötzlich ein Ruck, der sie nach vorn und zugleich zur Seite hin warf. Auf dem Boden blieb sie liegen, die Arme leicht ausgestreckt, die Hände zu Fäusten geschlossen, wie jemand, der seine Beute nicht mehr abgeben will.
Ich hielt den Atem an. Ich sah, dass ihre Schultern zuckten wie unter starken Krämpfen. Sie schüttelte auch den Kopf, aber sie hielt sich tapfer. Der Adler war zur Seite gehüpft. Seinen Kopf hatte er so gedreht, dass ich nicht in die leeren Augenhöhlen schauen konnte. Ich wollte es auch nicht und war deshalb froh darüber.
Wichtig war Sedonia, die vor mir kniete und den Kopf gesenkt hielt.
Ich hatte vor, sie zu trösten und ging auch auf sie zu, aber sie hatte mich gehört und sprach mich an, ohne sich zu drehen.
»Nein, John, nein. Du sollst nicht kommen. Bleib da - bitte. Ich bitte dich.«
Ich tat ihr den Gefallen. Sie wartete noch. Ihre Schultern hoben und senkten sich. Dann zog sie die Beine etwas an, um eine bequemere Haltung zu erreichen.
Jetzt klappte es. Mit noch müde wirkenden Bewegungen stand sie auf und ging vor. Die Hände noch immer geschlossen, verschwand sie im Dunkel der Höhle.
Ich hatte schon viel erlebt, dennoch gehörte diese Szene zu den gespenstischsten in meinem Leben. Es war einfach alles anders. Hier wurde ich von keinem Dämon angegriffen und auch nicht von einem Menschen, trotzdem spürte ich das andere, das sich wie ein Schleier in der Höhle ausgebreitet hatte und auch mich erfasste, so dass auf meinem Rücken ein Schauer zurückblieb.
Sedonia weinte nicht mehr. Ich sah sie auch nicht. Sie war in der tiefsten Dunkelheit der Höhle verschwunden. Aber der Adler machte sich bemerkbar. Seine leisen Schreie gingen mir unter die Haut. Er hatte sich für den Menschen geopfert. Sie klangen so hoch, jammernd und schrill zugleich. Er blieb auch nicht mehr auf seinem Platz. Ich erschrak, als er die Schwingen ausbreitete, nur ein Stück in die Höhe flatterte, sofort wieder landete, aber nicht auf der Stelle blieb, sondern weiterhüpfte, genau auf den Ausgang zu.
Ich verfolgte ihn. Seinen Schnabel und seinen Kopf konnte ich nicht sehen, nur den wippenden Körper. Mich beachtete er nicht. Er griff mich nicht an, ich war für ihn Luft, er wollte nur weg aus der Höhle und als blinder Vogel fliegen.
Sollte ich versuchen, ihn aufzuhalten? Nein, das brachte nichts. Der Vogel ging seinen eigenen Weg. Damit war auch der Plan Sedonias außer Kraft getreten. Das Tier wollte sein Schicksal selbst bestimmen.
Wieder drückte es sich durch den Spalt. Nicht mehr von seiner Sehkraft geleitet, sondern durch seinen Instinkt, der ihn voranbrachte.
Er ließ den schmalen Spalt auch hinter sich, und jetzt war für mich die Zeit gekommen. Ich ging ihm nach. Als ich den Höhleneingang erreichte, da hatte er sich bereits auf den Vorsprung gestellt. Er wirkte wie ein Bungee-Springer, der den richtigen Augenblick zum Start noch abwartete.
Es zuckte merklich in meinen Händen, ihn festzuhalten und ihn vor einer bestimmten Tat abzubringen. Ein blinder Vogel war in dieser Welt verloren.
Er kam mir zuvor. Wieder das Hüpfen. Der Sprung nach vorn - ein letzter. Und dann war er weg!
Ich lief so weit vor wie möglich. Erwartete, dass er seine Schwingen ausbreitete und durch die Dunkelheit flog, aber er reagierte dabei wie ein Selbstmörder.
Wie ein Stein fiel er in die Tiefe. Die graue Licht- und Schattenwelt nahm mir den größten Teil der Sicht. Ich sah ihn noch ein Stück fallen, dann war er verschwunden. Ich hörte einen Aufprall, als er gegen einen Felsen klatschte und anschließend nichts
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