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Fluchtpunkt Atlantis

Fluchtpunkt Atlantis

Titel: Fluchtpunkt Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Sie pfiff wieder. Da ich den Vogel genau im Auge behielt, erlebte ich sogar seine Reaktion. Durch den Körper ging ein Ruck. Es sah aus, als wollte er noch einmal hoch in die Luft steigen, aber durch eine geringe Bewegung der Schwingen korrigierte er seine Flugrichtung und nahm jetzt direkten Kurs auf die Höhle in der Felswand.
    »Ja!« rief ihm Sedonia jubelnd entgegen und streckte die Arme vor.
    »Ja, mein Freund - ja!«
    Der Vogel landete. Wie ein gewaltiger Schatten tauchte er dicht vor dem Eingang auf. Noch einmal spreizte er seine Schwingen, wie jemand, der sich produzieren will. Ein stolzes Tier mit einem gekrümmten Schnabel, der messerscharf war. Mit starren, kalten Augen, einem ungemein scharfen Blick und einem mit Gefieder bedeckten Körper. Seine breiten, helleren Krallen hatten sich in das Gestein auf dem schmalen Vorsprung geklammert, und dort blieb er zunächst sitzen.
    Sedonia stieß mich an. »Komm, John, wir müssen zurück und ihm Platz schaffen.«
    Sie war die Chefin, und so folgte ich ihrem Beispiel. Der Adler hatte darauf gewartet. Er drehte sich etwas zur Seite und drückte sich dann durch den Spalt.
    Mir war er nicht ganz geheuer, als ich ihn so vor mir sah. Im Halbdunkel wirkte er noch größer, und seine Gestalt warf auch einen Schatten auf den Boden.
    Wieder spürte Sedonia mit sicherem Instinkt mein Unwohlsein und beruhigte mich. »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Er ist ein Freund, ein wirklicher Freund, der alles für mich gibt.« Um ihre Worte zu bestätigen, ging sie auf den Vogel zu und hockte sich dicht vor ihm nieder. Wieder hatte sie sich wie eine Sehende bewegt, und abermals konnte ich mich nur darüber wundern.
    Sie nahm beide Hände zu Hilfe, als sie das Gefieder des Adlers streichelte und mit dem Vogel sprach. Das Tier ließ sich alles gefallen.
    Es bewegte sich nicht vom Fleck und hackte auch nicht mit seinem spitzen Schnabel zu. Selbst dann nicht, als die Blinde ihr Gesicht in den Federn vergrub und ihn auf diese Weise auch noch streichelte. »Jetzt wird alles gut für mich«, hörte ich ihre Stimme. »Ich weiß es. Ich weiß es genau. Ich habe lange warten müssen, doch das Orakel war mit günstig gestimmt. Ich bin jetzt soweit, um wieder richtig gesund zu werden. Und das habe ich dir zu verdanken.«
    Die Szene berührte mich seltsam. Ich hätte mich nicht einmal gewundert, wenn der Adler eine Antwort gegeben hätte. Sprechen konnte er nicht. Er stieß auch nicht die schrillen Vogellaute aus, die bei ihm und seinen Artgenossen üblich waren.
    Sedonia stand wieder auf. Obwohl sie mich nicht sah, nickte sie in meine Richtung. »Es ist jetzt soweit. Ich möchte auch nicht mehr länger warten.«
    »Das verstehe ich.«
    »Er ist bereit, mir seine Augen und damit auch mein Augenlicht zurückzugeben.«
    Ich nickte. »Und wie soll das geschehen?«
    »Dazu werde ich mir seine Augen holen.«
    »Bitte?«
    »Ja, ich pflücke sie ihm aus den Höhlen. Du kannst dich darauf verlassen, John. Es wird alles glatt laufen. Wir werden keine Schwierigkeiten bekommen. Mein Freund, der Adler, ist bereit.«
    Das musste ich akzeptieren. Trotzdem hatte ich noch Fragen. »Was passiert anschließend mit ihm? Dann ist er blind. Er wird sich nicht mehr verteidigen können und wird so zu einer Beute seiner Feinde werden.«
    »Das steht zu befürchten«, gab sie mir recht. »Aber es gibt einen Schutz, das weiß ich. Es gibt Freunde, die sich um ihn kümmern und ihn pflegen werden.«
    »Wer sind diese Freunde?«
    »Die Vogelmenschen, John. Sie nehmen ihn bei sich auf, und sie werden ihn hegen und pflegen. Sie werden ihm auch die Nahrung besorgen. Es ist ein Freundschaftsdienst, den sie dem Adler und auch mir gegenüber leisten.«
    Ich musste umdenken, ich musste es akzeptieren. Hier war alles anders als in unserer Welt. Atlantis existierte nach eigenen Regeln und Gesetzen.
    »Schaffst du es denn?« fragte ich trotzdem.
    Sie lächelte. »Ich werde es schaffen müssen, John. Alles wird seinen Gang gehen. Das Orakel hat sich mir gegenüber geöffnet. Es will nicht, dass ich blind bleibe…«
    »Gut, dann versuche es.«
    Sedonia kniete sich nieder. Direkt vor dem hockenden Adler nahm sie ihre Position ein. Auch ihr fiel es nicht leicht, dem Tier die Augen zu nehmen, und noch einmal drückte sie den Vogel an sich, streichelte ihn und sprach mit ihm.
    Was sie sagte, verstand ich nicht. Der Adler jedenfalls blieb ruhig. Als Sedonia dann den rechten Arm hob, wusste ich, dass es soweit war. Ich hätte zuschauen

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