Flüchtig!
möglich war. Wegen Woody und Nona, seiner Mutter.
»Nicht Sie haben ihn aus dem Krankenhaus geholt, Nona. Sie lieben ihn zu sehr, als daß sie ihn in so große Gefahr bringen würden.«
»Das stimmt«, sagte sie mit nassen Augen. »Sie hat es getan. Damit ich nicht mehr seine Mama sein kann. In all den Jahren habe ich es zugelassen, daß sie mich wie Abfall behandelt haben. Ich bin ihnen aus dem Weg gegangen, und sie haben ihn aufgezogen. Ich hab’ ihm nie etwas gesagt, weil ich Angst hatte, er könnte ausflippen. Es wäre zuviel gewesen für ein kleines Kind. Und ich bin die ganze Zeit innerlich gestorben.« Sie hob eine schlanke Hand ans Herz, langte mit der anderen nach dem Glas und trank es aus.
»Aber als er dann krank geworden ist, da hab’ ich es nicht mehr ausgehalten. Es war, als ob ich einen Haken geschluckt hätte und ein anderer zupft an der Angelschnur. Ich mußte mein Recht beanspruchen.
Ich hab’ darüber nachgedacht, hab’ mit ihm in der Plastikzelle gesessen und ihn im Schlaf angeschaut. Mein Baby. Und da hab’ ich mich entschlossen, es zu tun. Endlich! Hab’ gewartet, bis sie eines Abends in dem Motel gehockt haben, und ihnen gesagt, daß das mit den Lügen jetzt ein Ende hat, daß es schon zu lange gegangen ist. Daß meine Zeit gekommen ist. Und daß ich mich jetzt selbst um mein Baby kümmern werde.
Sie haben - er hat nur gelacht. Hat mich schlecht gemacht, gesagt, daß ich nicht imstande bin dazu, daß ich nichts bin als ein Stück Scheiße.
Ein verdammtes Scheißgefäß. Ich sollte gefälligst verschwinden und es damit für alle besser machen. Aber diesmal hab’ ich es nicht geschluckt. Der Schmerz in meinem Hals war zu stark. Ich hab’ ihnen alles zurückgegeben, hab’ ihnen gesagt, daß sie der letzte Dreck sind. Gemeine Sünder. Daß der Kr… die Krankheit Gottes Strafe ist für das, was sie getan haben. Und daß sie diejenigen sind, die nicht imstande sind, ein Kind großzuziehen. Ich wollte es allen sagen, den Ärzten und den Schwestern. Dann würden sie sie rausschmeißen und das Baby seiner richtigen Mutter übergeben.«
Die Hände, mit denen sie das Glas hielt, zitterten. Ich trat hinter ihren Stuhl und hielt ihre Hände mit den meinen fest.
»Es war mein Recht!« schrie sie plötzlich, riß den Kopf herum und bettelte um Bestätigung. Ich nickte, und sie warf sich an meine Brust.
Beim Besuch von Baron und Delilah hatte Emma Swope sich beklagt, daß die Krebstherapie die Familie zerbrechen würde. Die Sektenmitglieder hatten geglaubt, sie meinte damit die körperliche Trennung durch den Aufenthalt des Jungen in der Strömungskammer. Aber die Frau hatte sich über einen viel ernsteren Bruch beklagt, einen, der die Familie so irreparabel trennen würde wie das Messer des Fallbeils, das den Kopf vom Körper trennt.
Vielleicht hatte Emma Swope damals eingesehen, daß die Wunde zu tief war, um jemals heilen zu können. Aber sie und ihr Mann hatten versucht, sie wenigstens zuzupflastern. Um das Bekanntwerden des entsetzlichen Geheimnisses zu verhindern, entführten sie den Jungen und machten sich auf und davon…
»Sie haben ihn hinter meinem Rücken weggeholt«, sagte Nona, drückte dabei meine Hand und grub ihre grünen Nägel in mein Fleisch. Wieder begann der Zorn in ihr zu kochen. Ein dünner Schweißfilm stand auf dem schönen, üppigen Mund. »Wie verdammte Diebe. Sie als Röntgenärztin verkleidet. Mit einer Maske vor dem Mund und einem Mantel, den sie aus dem Wäschekorb gestohlen hat. Fährt mit ihm im Lastenaufzug hinunter und rennt davon, durch den Hinterausgang. Diebe! - Ich komme in das Motel, und da sind sie alle drei. Mein Baby liegt auf dem Bett, so klein und hilflos. Sie haben ihr Zeug gepackt und noch gemein gelacht darüber, daß sie so leicht rausgekommen sind mit meinem Baby. Daß keiner sie erkannt hat hinter der Maske, weil ihr niemand jemals in die Augen geschaut hat. Und dann haben sie auf das Krankenhaus geschimpft. Er hat dauernd geredet, über den Smog und solchen Scheiß. Nur um zu rechtfertigen, was sie getan haben.«
Sie hatte mir ein Stichwort geliefert. Jetzt war es an der Zeit, mein Angebot zu wiederholen. Sie zu überzeugen, daß sie ruhig und friedlich mit mir kommen konnte, wenn ich ihren Jungen zum Wagen trug.
Aber bevor ich einen Ton herausbrachte, wurde die Tür des Wohnwagens aufgerissen.
24
Doug Carmichael stand geduckt in der Tür wie bei einem Kommandotrupp in einem Bruce-Lee-Film. In der einen Hand, die er in den Raum
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