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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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hereinstreckte, hielt er ein Gewehr, die andere hatte eine zweischneidige Axt umspannt, als wäre sie ein Stück federleichtes Balsaholz. Doug trug ein schwarzes, netzartiges Turnhemd, das seine überentwickelten Muskeln zur Geltung brachte. Auch die Beine waren kräftig und muskulös; mit gekräuseltem blondem Flaum bedeckt, steckten sie in einer engen weißen Badehose. Seine Knie waren knotig und mißgestaltet - die berühmten Surferknoten. An den großen, groben Füßen trug er Strandsandalen aus Gummi. Der rötlichblonde Bart war kurz geschnitten, das dichte Haar sorgfältig gefönt.
    Nur die Augen hatten sich verändert seit meiner ersten Begegnung mit ihm. An dem Nachmittag in Venice hatten sie die Farbe eines wolkenlosen Himmels gehabt. Jetzt schaute ich in zwei endlos tiefe schwarze Löcher: weit aufgerissene Pupillen, umgeben von dünnen Eisringen. Verrückte Augen, die sich in der Küche des Wohnwagens umsahen, auf die Flasche, dann auf das betrunkene Mädchen und schließlich auf mich richteten.
    »Ich sollte Sie auf der Stelle umlegen, weil Sie ihr das verdammte Gift gegeben haben.«
    »Das war ich nicht. Sie hat es sich selbst beschafft.«
    »Maul halten!«
    Nona versuchte sich aufzurichten. Sie schwankte benommen. Carmichael zielte mit dem Gewehr auf mich.
    »Setzen Sie sich auf den Boden. Rücken zur Wand, die Hände unter den Körper. In Ordnung. Bleiben Sie so, sonst muß ich Ihnen leider weh tun.«
    Und zu Nona: »Komm her, Schwester.«
    Sie kam an seine Seite und lehnte sich an den mächtigen Körper. Er legte beschützend einen massigen Arm um sie. Den Arm, mit dessen Hand er die Axt hielt.
    »Hat er dir etwas getan, Baby?«
    Sie schaute mich an, wußte, daß sie über mein Schicksal entschied, überlegte sich die Antwort und schüttelte dann den benebelten Kopf.
    »Nee, der is’ okay. Nur geredet. Er will Woody ins Krankenhaus bringen.«
    »Kann ich mir denken«, spottete er. »Typisch! Noch mehr Gift, und dazu gepfefferte Rechnungen.« Sie schaute zu ihm hoch.
    »Ich weiß nich’, Doug, das Fieber ist noch nicht besser.«
    »Hast du ihm das Vitamin C gegeben?«
    »Ja, genau wie du es gesagt hast.«
    »Und was ist mit dem Apfel?«
    »Er hat ihn nicht essen wollen. War zu schläfrig.«
    »Versuch’s noch mal. Wenn er den Apfel nicht mag, dann soll er Birnen essen und Pflaumen. Orangen sind auch da.« Er bewegte den Kopf in Richtung Einkaufstüten, die immer noch auf der Theke standen.
    »Das Obst ist ganz frisch. Gerade erst gepflückt und ungespritzt. Gib ihm Obst und noch etwas Vitamin C, dann geht das Fieber herunter.«
    »Der Junge ist in Lebensgefahr«, sagte ich. »Er braucht mehr als Vitamine.«
    »Ich hab’ gesagt, Sie halten den Mund. Oder soll ich sie gleich hier fertigmachen?«
    »Ich glaube, er meint es gut«, sagte das Mädchen demütig.
    Carmichael lächelte sie mit echter Wärme und einer Spur von Herablassung an.
    »Du gehst am besten wieder hinüber zu dem Kleinen, Schwester. Sieh zu, daß er ordentlich ernährt wird.«
    Sie wollte etwas sagen, aber Carmichael zeigte ihr die weißen Zähne in einem breiten Grinsen und nickte dazu. Gehorsam verschwand sie hinter dem Duschvorhang.
    Als wir allein waren, stieß er mit dem Fuß die Tür des Wohnwagens zu und baute sich dann mir gegenüber auf, den Rücken zur Theke. Ich starrte in die Mündung der doppelläufigen Flinte - eine tödliche Acht.
    »Ich werde Sie töten müssen«, sagte er ruhig und zuckte dann mit den Schultern, als wollte er sich entschuldigen. »Es ist nichts Persönliches, verstehen sie? Aber wir sind eine Familie, und Sie stellen eine Bedrohung für uns dar.«
    Das letzte, was ich zeigen wollte, war Arroganz und Besserwisserei. Aber sein psychisches Radar war kurzgeschlossen und konnte unversehens losgehen: die brisante Apparatur des echten Paranoikers. Er kniff wütend die Augen zusammen, senkte die Flinte und zielte damit auf die Stelle über meiner Nasenwurzel. Dann zog er die gewaltigen Schultern nach vorn und starrte bedrohlich zu mir herunter.
    »Wir sind eine Familie. Und wir brauchen keinen Bluttest, um es zu beweisen.«
    »Natürlich nicht«, stimmte ich ihm zu, und mir war, als steckte mir ein Kloß im Hals. »Es kommt nur auf die emotionelle Bindung an.«
    Er schaute mich argwöhnisch an, als wollte er sich vergewissern, daß ich ihn nicht spöttisch oder herablassend behandelte. Ich zeigte ihm eine Maske der Aufrichtigkeit, fror meine Miene in diesem Zustand ein.
    Die Axt schwang lose hin und her,

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