Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
wobei die eine Schneide über den Boden kratzte.
    »Genau. Es kommt nur auf das Gefühl an. Unsere Gefühle sind in Schmerzen gehärtet worden. Drei gegen die Welt. Unsere Familie ist das, was sie sein soll: eine Zuflucht gegen allen Wahnsinn da draußen.
    Eine Oase der Sicherheit. Das ist schön und kostbar. Und ich muß diesen Zustand erhalten.«
    Ich wußte nicht, wie ich entkommen konnte. Vorläufig bestand so gut wie keine Chance, es sei denn, es gelang mir, auf Zeit zu spielen. Und das war nur möglich, wenn ich ihn reden ließ.
    »Ich verstehe. Dann sind Sie das Familienoberhaupt.« Die blauen Augen leuchteten auf wie Glasflammen.
    »Das einzige, das es für sie je gegeben hat. Die zwei anderen waren übel, Eltern nur dem Namen nach. Sie haben ihre Rechte mißbraucht. Haben versucht, die Familie von innen her zu zerstören.«
    »Ich weiß, Doug. Ich war heute abend drüben in ihrem Haus. Ich habe das Gewächshaus gesehen und in Swopes Aufzeichnungen gelesen.«
    Von einer Sekunde zur anderen erschien ein schrecklicher Ausdruck auf seinem Gesicht. Er hob den Arm und schwang die Axt in einer Parabel, ließ sie dann auf die Theke krachen. Der Wohnwagen erbebte, als das Plastik splitterte. Die Geste war für ihn völlig mühelos gewesen; er hatte den anderen Arm mit der Flinte nicht einen Millimeter bewegt. Hinter dem Vorhang entstand Unruhe, aber das Mädchen war nicht zu sehen.
    »Ich wollte diese verdammte Burg heute nacht vernichten«, flüsterte er und riß die Schneide der Axt aus der Theke. »Damit. Ich wollte alle verdammten Fenster einschlagen. Das Haus Brett für Brett abreißen und den Rest bis auf die Grundmauern niederbrennen. Aber als ich hingekommen bin, hab’ ich gesehen, daß jemand an dem Schloß herumgefummelt hat, also bin ich hierher zurück. Mein Glück.«
    Er atmete tief ein und stieß dann zischend die Luft aus. Die Atemtechnik des Gewichthebers. Dazu schwitzte er heftig und kochte innerlich vor Erregung. Ich kämpfte meine Angst nieder, zwang mich, klar zu denken. Ich mußte seine Aufmerksamkeit auf die Verbrechen der Swopes richten, mußte ihn auf diese Weise von mir ablenken.
    »Es ist wirklich ein böser Ort«, sagte ich. »Kaum zu glauben, daß die Menschen so sein können.«
    »Nicht für mich, Mann. Ich hab’ das alles erlebt, genau wie die Schwester. Mein Alter hat mich schikaniert und geschlagen und gesagt, daß ich Scheiße bin - jahrelang. Und das Luder, das sich meine Mutter genannt hat, das hat dabeigestanden und zugesehen. Ein anderes Kino, aber der gleiche Film. Als ich vorhin sagte, wir sind in Schmerzen gehärtet, da hab’ ich das auch so gemeint.«
    Als er über die schlechte Behandlung sprach, die er erduldet hatte, beantwortete er damit manche Frage, die ich mir über ihn gestellt hatte: die mangelhafte Entwicklung der Persönlichkeit, der Exhibitionismus, der Haß und die Panik, wenn er über seinen Vater sprach.
    »Es ist Bestimmung, das mit Nona und mir«, sagte er mit zufriedenem Lächeln. »Keiner von uns hätte es allein geschafft. Wie durch ein Wunder sind wir zusammengekommen. Und zu einer Familie geworden.«
    »Seit wann sind Sie eine Familie?« fragte ich.
    »Seit Jahren. Ich bin immer im Sommer hergekommen und hab’ auf diesem Bohrfeld gearbeitet, Schwerstarbeit, das Bohren nach Öl. Der alte Schweinehund hatte große Pläne mit dem Feld. Carmichael Oil sollte das Land vergewaltigen und jeden Tropfen Öl herauspressen. Leider war es trocken wie die Titten einer toten Frau.« Er lachte und schmetterte die Axt auf den Boden.
    »Ich habe die Arbeit gehaßt. Sie war dreckig, entwürdigend und langweilig, aber er hat mich dazu gezwungen. Jeden Sommer, wie eine Sträflingsarbeit. Wann immer ich konnte, hab’ ich mich davongeschlichen, bin auf verborgenen Pfaden durch die Wälder gewandert, habe saubere Luft geatmet. Und mir überlegt, wie ich es ihm heimzahle. Und eines Tages, auf einer meiner Wanderungen, habe ich sie getroffen. Sie war sechzehn und das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Sie hat auf einem Baumstumpf gesessen und geheult. Hat mich gesehen und Angst bekommen, aber ich hab’ ihr gesagt, daß es okay ist. Statt davonzulaufen, statt zu reden, hat sie einfach angefangen…« Das adrette Gesicht verzerrte sich vor Zorn. »Vergessen Sie, was ich früher über sie gesagt habe, Mann - ich hab’ sie nie berührt. Die Geschichte, die ich Ihnen und dem Polizisten erzählt habe, über die Sache im Auto, das war natürlich Bockmist. Ich hab’ das

Weitere Kostenlose Bücher