Flüchtig!
Wissen um das wahre Alter dieser Frau die kritischen Töne abgemildert.
Sie sah aus wie eine guterhaltene Fünfzigerin, aber ich wußte, daß sie mindestens fünfundsechzig sein mußte.
Sie hatte seit 1951, dem Jahr meiner Geburt, keinen Film mehr gedreht.
Desiree Layne, die Königin der ›schwarzen‹ B-Filme aus den vierziger Jahren. Als ich aufs College ging, hatte es dort eine Wiederaufführung ihrer alten Filme gegeben, mit kostenlosen Vorführungen in den Wochen vor den großen Ferien. Und ich hatte sie alle gesehen: Die Braut des Phantoms, Schatten auf meiner Schwelle, Der wüste Ort, Geheime Bewunderer.
Vor Äonen, als ich noch nicht daran dachte, meinen Beruf aufzugeben, war ich ein hektischer, einsamer Mensch mit sehr wenig Freizeit gewesen. Aber eines der wenigen Vergnügen, die ich mir damals gönnte, war ein Sonntagnachmittag im Bett gewesen, mit einem großen Glas voll Chivas Regal und einem Film mit Desiree Layne im Fernsehen.
Es war mir egal, wer ihr Gegenspieler war, wenn man nur oft genug diese schönen, bösen Augen sehen konnte, diese Kleider, die wie Reizwäsche wirkten. Die Stimme, rauchig vor Leidenschaft…
Jetzt strahlte sie keine Leidenschaft mehr aus, sondern saß bewegungslos wie ein Denkmal in ihrem weißen Gewand vor mir und lächelte geistesabwesend. So verdammt harmlos…
Allmählich wurde es mir unheimlich hier. Das war genauso, wie wenn man durch ein Wachsfigurenkabinett spazierte…
»Der edle Matthias sagte, daß Sie uns Fragen stellen wollen«, begann Baron.
»Ja. Ich wollte etwas mehr über Ihren Besuch bei den Swopes hören. Das könnte uns helfen, herauszufinden, was da geschehen ist, und vielleicht auch hilfreich sein bei der Suche nach den Kindern.«
Sie nickten gemeinsam.
Ich wartete. Sie schauten sich an. Dann begann die Frau zu sprechen.
»Wir wollten sie ein bißchen aufmuntern. Der edle Matthias meinte, wir sollten Früchte mitnehmen, Orangen, Grapefruit, Pfirsiche, Pflaumen - die besten, die wir finden konnten. Wir haben sie in einen Korb gelegt und bunt und fröhlich verpackt.«
Sie hielt inne und lächelte, als ob sie damit alles erklärt hätte.
»Und hat man sich über Ihre Aufmerksamkeit gefreut?« Sie riß die Augen auf:
»O ja. Mrs. Swope sagte, daß sie hungrig sei. Sie aß eine Pflaume - es war eine Santa-Rosa-Pflaume - und sagte, daß sie köstlich schmecke.« Barons Gesicht verhärtete sich, während sie weiterplapperte. Als sie eine Pause einlegte, sagte er: »Sie wollen wissen, ob wir versucht haben, den Eltern einzureden, sie sollten das Kind der Behandlung entziehen, nicht wahr?« Er saß völlig passiv da, aber in seiner Stimme lag deutliche Aggression.
»Matthias versicherte mir, Sie hätten das nicht getan. Ist überhaupt über die medizinische Behandlung des Jungen gesprochen worden?«
»O ja«, sagte er. »Mrs. Swope hat sich über diesen Raum aus Plastik beklagt und gemeint, sie komme sich vor, als ob sie von ihrem Jungen getrennt wäre, ja, daß die ganze Familie dadurch auseinanderfalle.«
»Hat sie erklärt, was sie damit meinte?«
»Nein. Ich nahm an, sie sprach von der körperlichen Trennung - daß man ihr nicht gestattete, ihr Kind ohne Handschuhe zu berühren, daß immer nur eine Person zu ihm hineingehen durfte, und so weiter.«
Delilah nickte zustimmend.
»So ein kalter Ort«, sagte sie. »Körperlich und geistig.« Um es zu illustrieren, schauderte sie leicht. Als ehemalige Schauspielerin konnte sie der Versuchung offenbar nicht widerstehen.
»Sie hatte das Gefühl, die Ärzte behandelten sie nicht wie Menschen«, fügte Baron hinzu. »Vor allem dieser Kubaner.«
»Armer Mann«, sagte Delilah. »Als er heute morgen versucht hat, sich hier mit Gewalt Eintritt zu verschaffen, hat er mir aufrichtig leid getan. Übergewichtig und rot wie eine Tomate… Er leidet sicher unter hohem Blutdruck.«
»Worüber haben sie sich in bezug auf ihn beklagt?« Baron zog eine Schnute.
»Nur darüber, daß er so unpersönlich war«, sagte er.
»Haben sie einen Arzt namens Valcroix erwähnt?« Delilah schüttelte den Kopf.
Dann begann Baron wieder zu sprechen.
»Wir haben nicht viel geredet. Es war ein sehr kurzer Besuch.«
»Ich atmete auf, als ich wieder draußen war«, erinnerte sich Delilah.
»Alles war so schrecklich technisch.«
»Wir haben das Obst abgegeben, sind wieder gegangen und nach Hause gefahren«, sagte Baron abschließend.
»Eine sehr traurige Situation«, seufzte die Frau.
17
Eine Gruppe von
Weitere Kostenlose Bücher