Flüchtig!
Sektenmitgliedern saß in Yoga-Stellung auf dem Rasen, als ich hinauskam, hatte die Augen geschlossen die Hände gegeneinandergepreßt, und ihre Gesichter glühten in der Sonne. Houten lehnte am Brunnen, rauchte und ließ den Blick müßig in ihre Richtung schweifen. Er sah mich kommen, drückte die Zigarette aus, trat auf den Stummel und warf ihn dann in einen Abfallbehälter aus gebranntem Ton.
»Na, haben Sie was erfahren?« Ich schüttelte den Kopf.
»Sagte ich Ihnen doch.« Er neigte den Kopf in Richtung auf die Meditierenden, die jetzt zu summen begannen. »Etwas sonderbar, aber harmlos.«
Ich schaute zu ihnen hinüber. Trotz der weißen Kleidung, der Sandalen und der ungetrimmten Barte erinnerten sie an die Teilnehmer eines Betriebsseminars, an eine von diesen aufgeblasenen populärpsychologischen Veranstaltungen, wie sie von den Geschäftsleitungen von Zeit zu Zeit veranstaltet wurden, um die Produktivität zu steigern. Die Gesichter, die sich da gen Himmel wandten, waren alle in mittleren Jahren und wohlgenährt, dazu zeigten sie den selbstbewußten Ausdruck von leitenden Angestellten, der auf ihr früheres Leben im Komfort und mit wesentlichen Machtbefugnissen hinwies.
Norman Matthews war mir als ein aggressiver, ehrgeiziger Mensch beschrieben worden. Ein Glücksritter. Als der edle Matthias versuchte er, die Rolle eines Heiligen zu spielen, aber ich verfügte über genügend Zynismus, um mich zu fragen, ob er in Wirklichkeit nicht nur das eine einträgliche Gewerbe gegen ein anderes ebenso einträgliches ausgetauscht hatte.
Denn die Berührungs-Sekte war eine Goldgrube: Sie bot den Reichen ein einfaches Leben und eine idyllische, schöne Umgebung, nahm ihnen die Bürde der persönlichen Verantwortung ab und lieferte eine Moral, die Gesundheit und Vitalität mit Rechtschaffenheit auf eine Stufe setzte - da brauchte man dann nur noch die Kollekte herumgehen zu lassen. Wie konnte ein solches System fehlschlagen?
Doch selbst wenn das Ganze ein einziger Schwindel war, so bedeutete das noch lange nicht, daß sich die Sekte obendrein mit Entführung und Mord befaßte. Wie Seth bemerkt hatte: Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wäre das letzte gewesen, worauf Matthias aus war, ganz gleich, ob er nun als Prophet wirkte oder als raffinierter Betrüger.
»Schauen wir uns um«, sagte Houten, »und lassen wir’s dann gut sein.«
Ich hatte freien Zugang auf dem gesamten Gelände und die Erlaubnis, alle Türen zu öffnen. Die Sakristei war ein majestätischer Kuppelbau, mit Fenstergeschossen und einem Fresko biblischer Szenen an der Decke. Die Betstühle waren entfernt worden, der Boden mit gepolsterten Matten ausgestattet. Es gab einen Tisch aus rohem Pinienholz in der Mitte des Raums, ansonsten kaum Möbelstücke. Eine Frau in Weiß staubte und wischte und hielt nur kurz inne, um uns mütterlich und freundlich zuzulächeln.
Die Schlafräume waren tatsächlich wie Mönchszellen: kühl, nicht größer als die Zelle, in der Raoul bei der Polizei einsaß, mit niedrigen Decken, dicken Mauern und einem einzigen Fenster von der Größe eines größeren Buchs, das zudem mit einem Holzgitter versehen war.
Als Mobiliar wies jeder Raum eine Schlafpritsche und eine Kommode auf. Die Zelle von Matthias unterschied sich von denen der anderen lediglich durch einen zusätzlichen kleinen Bücherschrank. Und der literarische Geschmack des Edlen erwies sich als recht gewählt: die Bibel, der Koran, C. G. Jung, Cousins’ Anatomie einer Krankheit, Tofflers Zukunftsschock, das Bhagavad-gita, dazu Texte über biologischen Gartenbau und Ökologie.
Ich sah mich in der Küche um, wo große Kessel mit Brühe auf industriellen Herden köchelten und süßer Geruch verriet, daß in den Ziegelöfen Brot gebacken wurde. Es gab eine Bibliothek für die Mitglieder, deren Angebot vorwiegend auf Werke über Gesundheitspflege und Ackerbau beschränkt war, und einen Konferenzraum mit strukturierten Lehmziegelwänden. Und überall arbeiteten die Sektenmitglieder in den weißen Kutten und lächelten dazu freundlich und mit strahlenden Augen.
Houten und ich wanderten nach der Inspektion der Gebäude über die Felder und sahen zu, wie die ›Berührer‹ die Weingärten pflegten. Ein schwarzbärtiger Hüne legte seine Schere auf den Boden und bot uns eine große, frisch gepflückte Traube an. Die Früchte waren taufrisch und zergingen auf der Zunge. Ich machte dem Mann ein Kompliment über den vorzüglichen Geschmack. Er nickte und fuhr dann
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