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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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mit seiner Arbeit fort.
    Es war bereits Nachmittag, aber die Sonne brannte unvermindert herab. Mein ungeschützter Kopf begann zu schmerzen, und nachdem wir oberflächlich noch den Schafstall und den Gemüsegarten inspiziert hatten, versicherte ich Houten, daß ich nun genug gesehen hätte.
    Wir drehten um und gingen zurück zum Viadukt. Dabei fragte ich mich, was ich nun eigentlich erreicht hatte, denn meine Durchsuchung des Geländes war im besten Fall oberflächlich und symbolisch gewesen. Es gab keinen Grund zu der Annahme, daß die Swope-Kinder hier waren. Und wenn, würden wir sie mit Sicherheit nicht finden. Die ›Zuflucht‹ war von Hunderten Morgen einsamen Landes umgeben, das überwiegend aus Wäldern bestand. Eine Meute von Suchhunden hätte es vielleicht geschafft, das gesamte Gelände zu durchforschen… Außerdem gab es in Klöstern oft geheime Verstecke, die bestimmt waren für Flüchtende aller Art, und vielleicht bot sich hier obendrein ein Labyrinth unterirdischer Höhlen, geheimer Räume und verborgener Gänge, die nur ein Archäologe hätte ausfindig machen können.
    Ein nutzlos verbrachter Tag, dachte ich, aber wenn meine Inspektion Raoul half, in die Wirklichkeit zurückzufinden, hatte sich die Mühe gelohnt. Doch dann wurde mir bewußt, was Wirklichkeit in diesem Fall bedeutete, und ich war geneigt, sie genau wie er zu leugnen.
    Houten gab Bragdon den Auftrag, Raouls persönliche Habseligkeiten zu bringen, die in einem großen Pappumschlag verwahrt waren. Schließlich war der Sheriff damit einverstanden gewesen, als Geldstrafe einen Scheck des Onkologen über sechshundertsiebenundachtzig Dollar zu akzeptieren, und während er den Strafbefehl in dreifacher Form ausstellte, ging ich ruhelos in seinem Büro auf und ab und wartete darauf, endlich zurückfahren zu können.
    Dabei fiel mein Blick auf die Karte des Countys. Ich fand La Vista und entdeckte eine kleine Straße, die westlich der Stadt von der eigentlichen Zufahrt abzweigte und einen Bogen um den Ort beschrieb. Auf dieser Straße war es vermutlich möglich, aus den umgebenden Wäldern direkt in die Stadt zu gelangen, ohne das Gewerbegebiet und das Rathaus passieren zu müssen. Wenn das der Fall war, konnte man Houtens Aufmerksamkeit leichter entgehen, als er vorgab.
    Nach einigem Zögern fragte ich ihn danach. Er fummelte mit einem Blatt Kohlepapier herum und schrieb dann weiter.
    »Eine Ölgesellschaft hat das Land gekauft und das County beauftragt, die Straße zu sperren. Man hat viel von reichen Vorkommen geredet, vom Reichtum, der gleich um die Ecke im Boden liegt.«
    »Und hat sich die Vermutung als wahr erwiesen?«
    »Keine Rede davon. Der Boden war knochentrocken.«
    Der Deputy brachte Raoul herüber aus dem Gefängnistrakt. Ich berichtete ihm von meinem Besuch in der ›Zuflucht‹ und vom negativen Ergebnis. Er war niedergeschlagen und hatte Mühe, die Nachricht zu verdauen, protestierte aber mit keinem Wort.
    Der Sheriff, der über Raouls Passivität sehr erfreut war, behandelte ihn mit ausgesuchter Höflichkeit, während er ihn die Entlassungspapiere unterschreiben ließ. Er fragte noch, was er mit seinem Volvo tun wolle; der Onkologe zuckte mit den Schultern und sagte, er solle den Wagen hier reparieren lassen, er werde für die Kosten aufkommen.
    Dann führte ich ihn hinaus und die Treppe hinunter.
    Er schwieg auf der ganzen Nachhausefahrt und verlor nicht einmal seine Gelassenheit, als eine dickliche, weibliche Grenzwache uns an die Seite fahren ließ und nach seinem Ausweis fragte. Er ertrug die unangenehme Szene mit stoischer Ruhe, die mein tiefstes Mitleid erregte. Zwei Stunden zuvor noch war er aggressiv und kampfbereit gewesen. Ich fragte mich, ob ihn die Anhäufung von Streß so niedergeschmettert hatte oder ob zyklische Stimmungswechsel zu seinem Wesen gehörten, ohne daß ich das bisher bemerkt hatte.
    Ich spürte starken Hunger, aber Raoul sah zu ramponiert aus, als daß ich mit ihm in ein Restaurant hätte gehen können; daher besorgte ich uns zwei Hamburger und zwei Becher Cola an einem Imbißstand in Santa Anna und fuhr in der Nähe eines kleinen öffentlichen Parks an den Straßenrand. Ich gab Raoul den einen Hamburger und aß den meinen, während ich einer Gruppe von Teenagern beim Softballspiel zuschaute. Sie hatten es eilig, wollten die Partie noch vor Einbruch der Dämmerung zu Ende bringen. Als ich mich wieder Raoul zuwandte, war er eingeschlafen und hatte den Hamburger noch immer eingewickelt auf seinem

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