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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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hinzu.
    Bevor ich etwas erwidern konnte, kamen zwei seiner Leute herein. Matthias stand auf und ging, ohne ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Der Mann und die Frau setzten sich auf die beiden leeren Stühle. Das alles wurde seltsam mechanisch abgewickelt, als ob die Menschen austauschbare Einzelteile in einem glatt und störungsfrei funktionierenden Apparat wären.
    Sie setzten sich, die Hände in den Schoß gebettet, wie brave Schulkinder, und lächelten mit der einen Außenstehenden zum Wahnsinn treibenden Heiterkeit der Wiedergeborenen und der Lobotomisierten.
    Ich war jedenfalls weit davon entfernt, heiter und gelassen zu sein. Denn sie waren mir beide schon früher begegnet, wenn auch auf sehr verschiedene Weise.
    Der Mann, der sich Baron nannte, war mittelgroß und mager. Wie Matthias hatte er das Haar kurzgeschnitten und den Bart ungetrimmt. Aber in seinem Fall war die Wirkung nicht dramatisch, sondern eher schmuddelig. Sein Haar war mittelbraun und dünn. Durch den spärlichen Kinnbart waren nackte Hautstellen zu sehen, und seine Wangen waren von einem dünnen Flaum bedeckt. Es sah aus, als habe er vergessen, sich das Gesicht zu waschen.
    Ich kannte ihn aus meiner Studienzeit; damals hatte er Barry Graffius geheißen. Er war älter als ich, Anfang Vierzig, ein Spätentwickler, der sich zuletzt entschlossen hatte, Psychologie zu studieren, nachdem alles andere schiefgelaufen war.
    Seine Familie war reich, gehörte zu den Großen im Filmgeschäft, und er war einer jener Söhne reicher Eltern, die sich zu nichts entschließen konnten - unzureichende Motivation, da es ihm bis dahin niemals an irgend etwas gemangelt hatte. Wir waren damals alle der Meinung, daß nur das Vermögen der Familie ihm den Studienplatz verschafft hatte, doch das war vielleicht ein allzu voreingenommenes Urteil gewesen. Immerhin war Barry Graffius seinerzeit der unbeliebteste Student unserer Abteilung.
    Ich hatte schon immer die Neigung, bei der Beurteilung von anderen gnädig und zurückhaltend zu sein, aber ich verachtete Graffius. Er war großmäulig und streitsüchtig gewesen, hatte sich in den Seminaren mit unpassenden Zitaten und statistischen Zahlen hervorgetan, welche die Professoren beeindrucken sollten. Er beleidigte seine Vorgesetzten, war gemein zu denen, die sich nicht wehren konnten, und spielte stets mit boshafter Lust den Advokaten des Teufels.
    Außerdem liebte er es, mit seinem Geld zu protzen.
    Die meisten von uns hatten zu kämpfen, wenn sie über die Runden kommen wollten, arbeiteten als Werkstudenten oder übernahmen als Anfangsassistenten noch Nebenjobs. Graffius dagegen machte es Spaß, in maßgeschneiderter Wildlederkleidung in die Vorlesungen zu kommen, sich über die Reparaturrechnung seines Jaguars zu beklagen und über die Steuerbehörde, die ihm wieder einmal zugesetzt hatte. Er war einer, der sich ständig mit den Namen seiner prominenten Freunde und Bekannten rühmte, berichtete oft und ungefragt von üppigen und ausschweifenden Hollywood-Partys und bot uns so einen Blick in eine glanzvolle Welt, die weit jenseits unseres Horizonts lag.
    Ich hatte gehört, daß er nach seinem Examen eine Praxis am Bedford Drive - der Straße mit den meisten Psychotherapeuten von Beverly Hills - eröffnet hatte und seine guten Beziehungen versilbern wollte, als der Therapeut der großen Hollywood-Stars.
    Kein Wunder, daß er dabei Norman Matthews begegnet war.
    Auch er erkannte mich wieder. Ich merkte es an der unruhigen Bewegung hinter seinen wäßrig-braunen Augen. Und als wir uns dann anschauten, kristallisierte sich diese Unruhe zu deutlicher Angst. Die Angst, entlarvt zu werden.
    Nicht, daß seine frühere Identität ein Geheimnis im strengen Sinne des Wortes gewesen wäre. Aber er wollte nicht damit konfrontiert werden - für die Wiedergeborenen war die Erinnerung an ihre Vergangenheit so etwas wie die Exhumierung eines lange verrotteten Leichnams.
    Ich sagte nichts, fragte mich aber, ob er Matthias mitgeteilt hatte, daß er mich kannte.
    Die Frau war älter, aber ungewöhnlich hübsch trotz pferdeschwanzfrisur und fehlendem Make-up, das für die Frauen von der Berührungs-Sekte offenbar de rigeur war: ein Madonnengesicht mit elfenbeinweißer Haut, schwarzem, von silbernen Strähnen durchsetztem Haar und klugen, nachdenklichen Zigeuneraugen. Beverly Lucas hatte sie eine ›heiße Nummer‹ genannt, der mit den Jahren die Puste ausgegangen war, doch das erschien mir unfair und allzu bissig. Vielleicht hätte das

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