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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Inschrift SAKRISTEI. Das Haar der Frau war zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden und wurde von einem Lederband festgehalten. Sie trug ein Sackkleid aus roher weißer Baumwolle und Sandalen. Ihr Gesicht war wettergegerbt, offen und sympathisch. Sie benutzte keinerlei Makeup oder andere Maskierungen, hatte die Hände in den Schoß gelegt, und als sie mich anlächelte, erinnerte sie trotz ihres Alters an ein wohlerzogenes Schulkind. Der Liebling des Lehrers.
    »Guten Tag, Sheriff.«
    »Hallo, Maria. Ich möchte Matthias sprechen.«
    Sie erhob sich gelenkig. Der Rock reichte ihr über die Knie.
    »Er wartet bereits auf Sie.«
    Sie führte uns links von der Sakristei über einen langen Korridor, der außer Topfpalmen im Abstand von drei Metern keinerlei Schmuck aufwies. Am Ende des Korridors war eine Tür, und sie hielt sie uns auf.
    Der Raum dahinter war schummerig und wurde an drei Wänden von Bücherregalen eingefaßt. Der Boden bestand aus geschrubbten Pinienholzbohlen. Der Geruch nach Weihrauch war hier stärker. Es gab keinen Schreibtisch, nur drei einfache Holzstühle, die in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks angeordnet waren. An der Spitze des Dreiecks saß ein Mann.
    Er war groß, schlank und hager und trug eine Art Tunika aus der gleichen rohen Baumwolle wie Marias Kleid. Darunter hatte er eine Pluderhose an, die von einer Schärpe in der Taille zusammengehalten wurde. Seine Füße waren nackt, aber neben seinem Stuhl stand ein Paar Sandalen auf dem Boden. Sein kurzgeschnittenes Haar zeigte das wächserne, goldgetönte Weiß, wie es bei ehemals Blonden typisch ist.
    Sein Bart war einige Schattierungen dunkler - weniger Schnee und mehr Goldschimmer - und hing ihm bis auf die Brust. Er war üppig gekräuselt, und der Mann strich darüber, als ob er einen Schoßhund streichelte. Seine Brauen standen hoch und waren gewölbt, so daß ich die Narbe der Schußverletzung dicht unter dem Haaransatz sah: eine Vertiefung, in die man einen Daumen hätte legen können. Die Augen in den tiefen Höhlen waren graublau, den meinen nicht unähnlich. Aber ich hoffte, daß die meinen mehr Wärme ausstrahlten.
    »Bitte setzen Sie sich.« Seine Stimme klang kräftig und metallisch.
    »Das ist Doktor Delaware, Matthias. Doktor, der edle Matthias.«
    Der imposante Titel klang albern. Ich schaute Houten an, suchte nach der Andeutung eines unterdrückten Lächelns, doch der Sheriff blieb todernst.
    Matthias strich sich noch immer den Bart. Er saß nachdenklich und ruhig da, ein Mann, für den Schweigen keineswegs bedrückend oder unangenehm war.
    »Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen«, sagte Houten steif.
    »Hoffentlich können wir diese Sache rasch aufklären und Sie dann wieder in Ruhe lassen.«
    Der weiße Kopf nickte. »Alles, was dazu geeignet ist, Ihnen zu helfen, soll geschehen.«
    »Doktor Delaware möchte Ihnen zunächst ein paar fragen stellen. Dann wollen wir uns hier auf Ihrem Gelände ein wenig umsehen.«
    Matthias verharrte in Gemütsruhe. Houten wandte sich an mich:
    »Von jetzt an ist es Ihre Show.«
    »Mr. Matthias…«, begann ich.
    »Einfach Matthias, bitte. Wir vermeiden Titel.«
    »Matthias, ich bin nicht hier, um einzudringen in Ihr…« Er unterbrach mich mit einer Handbewegung.
    »Der Zweck Ihres Besuchs ist mir bekannt. Stellen Sie mir Ihre Fragen.«
    »Danke. Doktor Melendez-Lynch ist der Ansicht, daß Sie oder Ihre Leute etwas zu tun haben mit Woody Swopes Entführung aus dem Krankenhaus und mit dem anschließenden Verschwinden der Familie.«
    »Der übliche Aberwitz der Städter«, sagte der Guru. »Aberwitz.« Er wiederholte das Wort, als teste er es auf seine Brauchbarkeit als Mantra.
    »Ich hätte gern gehört, was Sie von der Sache denken. Theorien, die Ihnen als möglich erscheinen.«
    Er atmete tief ein, schloß die Augen, öffnete sie wieder und begann zu sprechen.
    »Ich kann Ihnen da leider nicht helfen. Die Swopes lebten zurückgezogen, genau wie wir. Wir kannten sie kaum. Es gab kurze Begegnungen, wir trafen uns auf der Straße, lächelten uns an, sagten ein paar Worte. Ein oder zweimal haben wir von ihnen Sämereien gekauft. Und in unserem ersten Sommer hier hat das Mädchen bei uns in der Küche gearbeitet.«
    »Ein Aushilfsjob?«
    »Genau. Da wir zu Beginn noch nicht völlig von fremder Hilfe unabhängig sein konnten, haben wir gelegentlich junge Leute aus dem Dorf engagiert. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie uns in der Küche geholfen. Beim Säubern und Putzen, und um die

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