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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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über die Leichen hinweg und eilte auf sie zu. Ihr Gesicht kam ihm bekannt vor, auch wenn er sich nicht recht an ihren Namen erinnerte. Liraja? Lisaja? Ihr Arbeitsplatz hatte sich in den hinteren Reihen befunden, weit weg von Kivens mürrischer Laune. Als er sich über sie beugte, sah er, dass sie noch immer aus einer schweren Wunde am Rücken blutete. Wo sie nicht rot verschmiert war, wirkte ihre hellbraune Haut gelblich. Jemand musste ihr helfen, aber Adeen spürte, wie ihn angesichts ihrer Verletzungen Hilflosigkeit überkam. Sie waren nicht gekommen, um das Leben von Verwundeten zu retten. Trotzdem ging er neben ihr in die Knie und trennte mit der Klinge den Saum der Robe eines Toten ab, der neben ihr lag. »Halt still. Ich verbinde dich.«
    Sie riss die Augen auf, als sie sein Gesicht erkannte. »Ich hab dich schon … gesehen, nicht wahr? Du bist … du hast hier gearbeitet …«
    »Ich bin Adeen.«
    »Wie konntest du … ihm entkommen?«
    »Ich hatte Glück.«
    »Es tut so weh«, flüsterte sie, doch ihre Stimme verriet mehr Angst als Schmerz. »Und mir ist kalt. Ich habe mich totgestellt … gehofft, dass Hilfe kommt … aber … so lange. Sterbe ich?«
    Adeens Hände zitterten. »Nein. Ich … werde dir helfen.« Während er die Worte aussprach, wusste er, dass er log, zu feige, ihr und sich selbst die Wahrheit zu sagen. »Wer hat das getan?«
    Die Frau zitterte, ihre Lider flatterten. Sie stand vermutlich kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. »Charral«, murmelte sie. »Er und seine Leute. Haben uns alle getötet. Sogar die Kinder. Ich weiß nicht … warum. Weiß nicht … was wir ihm getan haben.« Sie schöpfte einen Moment Atem und sprach dann weiter. »Er sagte, wir wären … eine Gefahr … weiß nicht, was er meinte. Sein Gesicht … ganz ruhig. Als würde es gar nichts bedeuten.«
    Adeen presste den abgeschnittenen Stoffstreifen auf die Wunde in ihrem Rücken, wo die Schreiberrobe ihr in Fetzen von den Schultern hing. Sofort sog sich der Stoff voller Blut, und die Frau stöhnte. Adeen fürchtete, sie würde zusammenbrechen, und stützte sie. Ihr Kopf sank gegen seine Schulter, und schaudernd spürte er an seiner Wange die Kälte ihrer Haut und ihr warmes Blut. »Kannst du aufstehen?«, fragte er. »Ich bringe dich zu den anderen. Es ist nicht weit. Wir schaffen dich hier weg.«
    Erneut lief ein Zittern durch den Körper der Frau, und sie richtete sich mit sichtbarer Anstrengung halb auf. »Nein. Du musst … verschwinden, bevor er dich auch findet.« Sie rang nach Atem, und Adeen sah, wie sich auch ihre Lippen mit feuchtem Rot überzogen. »Lauf … so weit du kannst. Lauf.«
    Als hätten sie diese Worte ihre letzte Kraft gekostet, sackte sie in sich zusammen. Adeen wusste, dass sie recht hatte, dass er fliehen sollte, doch noch immer konnte er es nicht. Stattdessen legte er der Verwundeten eine Hand auf die Schulter und wartete, bis die Krämpfe, die ihren Körper schüttelten, allmählich nachließen. Überwältigt von seinen Gefühlen, presste er die Kiefer aufeinander und versuchte, nicht auf das Brennen in seinen Augen zu achten. Er konnte schon fast nicht mehr daran glauben, dass Charral tatsächlich in die Schlacht gezogen war – er würde es immer vorziehen, wehrlose Unschuldige niederzumetzeln, ohne selbst Schaden befürchten zu müssen.
    Als Adeen sich endlich mit zittrigen Beinen aufrichtete und sich von dem reglosen Körper abwandte, war die Frau tot. Er fühlte sich, als hätte er die graue Welt der Toten betreten und wieder verlassen. Was blieb, war Kälte und darunter ein Hass, der so stark glühte wie das Feuer der Magie in ihm.
    Irgendwann würde Charral für das bezahlen, was er getan hatte.
    Es fiel Adeen schwer, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag, aber er musste die anderen finden. Noch immer war es ihre wichtigste Aufgabe, den Vorrat an Schriftrollen zu vernichten, den die Magier in der Akademie aufbewahrten. Er trat aus der Tür, und erst, als die Winterluft sein Gesicht berührte, spürte er, dass seine Wangen feucht von Tränen waren. Rasch wischte er sie ab, durchquerte den Innenhof und stieg die Treppe hinauf. Aufgebrochene Schlösser kennzeichneten den Weg, den Schwärmer und seine Leute genommen hatten, und an einigen Stellen hatte jemand mit der Klinge Pfeile in Teppiche und Wandbehänge geschnitten, um ihm den Weg zu weisen. Auf einmal fühlte sich Adeen ohne die anderen schrecklich angreifbar. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können, sich von

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