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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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ihnen zu trennen? Hoffentlich hatte er nicht zu viel Zeit verloren und fand sie schnell wieder!
    Eine breite Treppe lag vor ihm, verschwenderisch mit Teppichen ausgelegt. Herausgemeißelte Drachen wanden sich um das steinerne Geländer und um die Pfeiler an den Wänden. Fenster gab es an dieser Stelle keine, aber die Leuchtkristalle in den Wandlampen tauchten alles in ein fahlblaues Licht, in dem die geschnitzten Augen der Drachen beinahe lebendig glänzten. Auch hier war eine Markierung in den Teppich geschlitzt worden. Adeens Blick folgte dem Weg, den ihm der Pfeil wies, die Treppe hinauf zu einer Galerie. Sogar von hier unten konnte er erkennen, dass sich dort Regale befanden, alle beladen mit Schriftrollen, und er nahm den typischen, leicht pfeffrigen Geruch des Papiers wahr. Er holte tief Atem: Das musste das Lager sein, das sie gesucht hatten. Hier würde er Schwärmer –
    Ein plötzliches Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Jemand – oder mehrere? – lief mit schnellen, festen Schritten über den Teppichboden, jemand, der sich keine Mühe gab, leise zu sein. Und zu allem Überfluss bewegten sich die Schritte auf ihn zu. Hektisch blickte sich Adeen um. Ein gutes Versteck war nicht zu sehen, allein die Pfeiler, an denen die Kristalle befestigt waren, boten ein wenig Sichtschutz. Adeen presste sich in einen Schattenfleck, Auge in Auge mit einem grimmigen Flügelwesen, das ein Künstler in den Stein gegraben hatte, und sein Herz hämmerte laut in seinen Ohren.
    »Sie sind noch am Leben, sagst du?«
    Adeen biss die Zähne zusammen, und unwillkürlich schlossen sich seine Finger zur Faust. Diese Stimme hätte er immer erkannt: Charral. Also hatte er richtig vermutet: Charral hatte sich den Kämpfen nicht angeschlossen.
    »Ja«, erwiderte eine andere Stimme: Kiven, der Aufseher über die Schreiber – oder was auch immer jetzt seine Aufgabe sein mochte. »Und gut bewacht. Ich dachte, dass Ihr sie vielleicht verhören wollt.«
    »Das werde ich. Bald. Wie viele sind es?«
    »Vier. Ein alter Mann und drei Kämpfer.«
    Adeen presste die Hand auf den Mund, um sich nicht durch einen Aufschrei zu verraten.
    »Wie konnten sie die Tür öffnen?«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte Kiven gehetzt und im Tonfall der Unterwürfigkeit. »Ich glaube nicht, dass es Magier oder Schriftkundige sind. Vielleicht hatten sie Hilfe.«
    »Talanna.« Charral lachte kurz auf, und bei dem Geräusch überrollte Adeen eine Welle von Abscheu. »Ja, das ist möglich. Wahrscheinlich weiß diese Frau allmählich selbst nicht mehr, wen sie eigentlich verrät, mich oder ihre Rebellenfreunde.«
    Die beiden Männer waren am Fuß der Treppe stehen geblieben. Adeen hielt den Atem an. Sie waren nur wenige Schritte entfernt – mussten sie sein Herz nicht klopfen hören?
    »Ihr dürft der Frau nicht trauen, Meister«, sagte Kiven.
    »Überlass mir das, alter Mann. Ich weiß schon, wie ich sie zu behandeln habe. Ich werde mich um sie kümmern, ehe sie noch mehr Chaos anrichten kann.«
    »Wir sollten sie zu den anderen Gefangenen sperren.«
    »Nein, ich behalte sie bei mir in meinem Quartier. Es wird nicht lange dauern. Du siehst so lange nach, ob die Gefangenen sicher untergebracht sind. Wir müssen sie noch verhören.«
    Unter seiner Kapuze hervor warf Kiven ihm einen Blick zu, der von Skepsis zeugte, antwortete aber: »Ja, Meister Charral.«
    Die zwei trennten sich. Kiven eilte den Gang hinunter, den er gekommen war, während Charral die Treppe hinaufstieg. Adeen konnte kaum fassen, dass sie ihn nicht bemerkt hatten, und ihm blieb nicht viel Zeit zum Überlegen. Wenn Kiven Charrals Befehl nachkam, führte er ihn direkt zu Schwärmer und den anderen, aber selbst wenn es ihm gelang, den alten Mann zu überwältigen, würde er sich gegen mehrere Wachen kaum durchsetzen können. Charral dagegen befand sich auf dem Weg zu Talanna … und was er gesagt hatte …
    Verrückte Krähe!
Daran durfte er jetzt nicht einmal denken. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und er war der Einzige, der es jetzt noch tun konnte.
    Er wartete, bis Charrals Schritte verklungen waren, dann eilte er die Treppe hinauf. Im Halbdunkel des Schriftrollen-Lagers glommen nur wenige Leuchtkristalle. In ihrem fahlen Licht sah Adeen Regale, die sich bis zur Decke erstreckten, drei Schritt hoch oder mehr, vollgestopft mit Schriftrollen, einige in Kisten, einige lose in ihren halb durchsichtigen Hüllen aus Siltkristall. Mit Bestürzung sah er, was eine der Lichtpfützen ihm außerdem zeigte:

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