Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert

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keine gesprochenen Worte, um den Zauber zu aktivieren, der sich in ihr verbarg. Eine Berührung reichte aus.
    In der Akademie hatten diejenigen Schreiber besonderen Ärger mit Kiven bekommen, die im Zentrum der Schriftrolle schlampig gearbeitet oder sogar einen Fehler gemacht hatten. Dort war die Machtquelle der meisten Zauber angelegt. Wenn er recht hatte, an welcher Stelle musste er dann das Zentrum dieses Zaubers suchen?
    Adeen riss sich den Umhang von den Schultern und warf ihn über den Griff der Brechstange, deren anderes Ende noch immer rot glühte. Zum Schutz wickelte er den Stoff dreimal, viermal herum und hob das Werkzeug hoch. Unter seinen Fingern zerfraß die Hitze den Umhang fast augenblicklich. Er achtete darauf, dass er nicht direkt vor der Tür stand, und stieß die glühende Eisenstange mitten in das aufgerissene Maul des Drachen.
    Erneut leckte die helle Flammenzunge durch die Luft, doch sie traf ihn nicht. Das Fauchen, mit dem das Holz verbrannte, schien aus dem Schlund des Tieres selbst zu kommen. Eine Hitzewelle warf Adeen zurück, er musste die Brechstange loslassen. Rücklings fiel er gegen Yoluan, der ihn packte und auffing.
    »Alles in Ordnung?« Yoluan schüttelte ihn. »Du verrückter Kerl! Willst du in Flammen aufgehen?«
    »Die gesamte Tür ist ein Schriftzauber«, keuchte er. »Ich hoffe, ich habe die zentralen Worte ausgelöscht.« Er öffnete und schloss seine Hände. Sie schmerzten heftig an den Stellen, wo die Glut sie berührt hatte, aber er konnte sie benutzen, wenn er die Zähne zusammenbiss. Er wandte sich wieder der Tür zu: Mitten im Maul des Drachen befand sich nun ein schwarzer Fleck. Qualm stieg von dem verkohlten Holz auf und erfüllte die Luft mit beißendem Gestank.
    »Lass mich sehen.« Ehe sie ihn zurückhalten konnten, stand Ghaves bereits an der Tür und stieß mit dem Ellbogen gegen das Holz. Funken stoben empor, sprangen auf dem Boden umher und erloschen mit einem kläglichen Zischen. Ghaves war zusammengezuckt und erneut zurückgewichen, doch als er sah, dass keine Gefahr mehr drohte, atmete er sichtbar auf. Der Zauber war gebrochen.
    »Gute Arbeit, Adeen«, sagte Schwärmer anerkennend. »Jetzt aber nichts wie rein, ehe die Wachen uns noch bemerken.«
    Das Schloss stellte nun kein Hindernis mehr dar. Nach kurzer Zeit gab es nach, als sich Schwärmer – ein Mann vieler Talente, wie es schien – daran zu schaffen machte. Leise betraten sie die Bibliothek. Kühle Stille umfing sie, und in der Luft lag der Geruch, den Adeen nur allzu gut kannte: Papier, Pergament und die vielfältigen Geruchsnuancen von farbiger Tinte: süß, bitter oder widerwärtig, wo sie mit Tiereingeweiden versetzt war.
    Alle hatten nun nach ihren Waffen gegriffen, sogar Ghaves, obwohl seine rechte Hand fast unbrauchbar war. Mit angehaltenem Atem schlichen sie vorwärts. Doch ihre Sorge war unnötig: In den Gängen begegneten sie niemandem. Einmal erhaschten sie durch eine halb geöffnete Tür einen Blick auf einen Saal voller Bücher. Ein Mann in dunkler Robe stand allein vor einem Regal, das bis an die Decke reichte, und blätterte in einem Folianten. Er war so in sein Buch vertieft, dass er sie nicht bemerkte. Sie sahen ihn nur von hinten, sein weißes Haar, die dürren, leicht nach vorn gekrümmten Schultern, doch Adeen wusste, dass es Kiven war. Wie häufig hatte der Aufseher ihn gedemütigt! Und nun stand er so allein dort, so alt, und ein Wink von Schwärmer würde genügen, um ihn zu töten und den einzigen Zeugen für ihren Einbruch zu beseitigen. Er war erleichtert, als sie an der Tür vorüberschlichen, ohne Kiven weiter zu beachten.
    Ihr Ziel war nicht das gesammelte magische Wissen der Akademie oder Rache an ihren Bewohnern, sondern das Schriftrollen-Lager, und das befand sich, soweit Adeen wusste, im ersten Stock.

17
    Der Aschevogel
    A uch der Innenhof der Akademie lag verlassen da. Noch sah alles aus wie an dem Tag, an dem Adeen zum letzten Mal hier gewesen war: das zertretene Gras, die Dornenhecken, die traurigen Attrappen, geschwärzt von Kampfzaubern. Nur das Gewimmel der Magierschüler fehlte.
    Sie müssen dort draußen sein, in der Schlacht. Ob Charral bei ihnen ist?
Adeen versuchte, sich vorzustellen, wie Charral an der Seite seiner Schüler das eigene Leben aufs Spiel setzte, wie er seine Blitzzauber auf die Angreifer schleuderte und mit ansehen musste, wie diejenigen, die er ausgebildet hatte, töteten – oder getötet wurden. Empfand er etwas dabei?
    Von hier aus