Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
Vom Netzwerk:
grün, grau. Verschwommen sah Adeen, wie Charral voller Überraschung die Augen aufriss, dann
    entfaltete der schwarze Vogel seine Flügel und schwang sich mit einem gellenden Schrei empor. Über ihm war nicht der freie Himmel, sondern er war eingeschlossen von Wänden, von Holz und Stein, unerträglich. Einer seiner Flügel riss ein Loch in die Decke. Ein Regen von Schutt fiel hinab, traf sein Gefieder und ließ ihn taumeln.
    Er war zornig, halb verrückt von der Enge und dem Gefühl, gefangen zu sein. Er musste hier heraus! Heftig schlug er mit den Flügeln, entfachte einen Sturm, der Regale umriss, warf sich gegen die Wände und prallte zurück, lag zuckend am Boden und raffte sich wieder auf, um erneut sinnlos gegen die Begrenzung dieser winzigen Welt anzurennen.
    Ruhig, ganz ruhig! Konzentrier dich!
    Die Stimme in ihm war nicht seine, war fremd, kein Flügelwesen: eine Stimme der Vernunft. Sie wollte ihn daran hindern, in die Freiheit zu fliehen. Er durfte nicht auf sie hören.
    Nein, du musst mir vertrauen. Du musst dich kontrollieren, erkennen, was zu tun ist.
    Was zu tun war? Durch das Loch in der Decke fiel weißes Licht hinein. Dorthin musste er durchbrechen, gleichgültig, wie. Und wenn er seinen Körper dabei zerschmetterte –
    Nein, nicht!
    Zitternd hielt er inne und blickte sich um. Ein Mann stand mit ihm in dem Raum, umgeben von einer Aura aus flirrender Luft. Für ihn bestand sein Gesicht nur aus farbigen Flecken, doch er spürte die Gefühle, die er ausstrahlte, sah, wie sie sich rings um ihn abzeichneten: Abscheu und Verwirrung und Wut.
    »Du kennst also diese Macht«, sagte der Mann. »Aber sie wird dir nichts nützen. Du kannst sie nicht beherrschen. Das braucht Zeit. Was auch immer du beschwörst, was auch immer du aus dir machst, es wird dich nur verschlingen. Also hör lieber auf damit, solange du noch kannst, und komm her! Du könntest die Magie des Herrschers in dir tragen und wärst noch immer nutzlos!«
    Der Vogel verstand nicht, wovon er sprach, doch der Klang dieser Stimme weckte alte Bilder in ihm, die von Furcht und Qualen erzählten und von einer Gefangenschaft, die mit der Enge in diesem Raum in nichts vergleichbar war.
    Ein Feind.
    Gib den Weg frei!
    Mit der Wucht eines Sturms warf der Vogel sich auf ihn, ging mit den Krallen und mit aufgesperrtem Schnabel auf ihn los. Blitze zuckten um ihn und hüllten ihn in einen knisternden Mantel ein, als der Mann seinen Angriff mit dem Stab abzuwehren versuchte. Der Schmerz ließ gleißende Bündel von Licht hinter seinen Augen explodieren und hätte ihn beinahe niedergeworfen. Die scharfe, gebogene Spitze seines Schnabels zerriss Stoff, fuhr in das Fleisch des Mannes, und er schmeckte Blut. Für einen Moment trennten sie sich. Der Mann versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, eine Hand gegen die Seite gepresst. Blut sprudelte unter seinen Fingern hervor. Der silberweiße Zorn seiner Aura hatte sich in tiefroten Hass verwandelt, der im Rhythmus seines Herzens pulsierte, und darüber lag fahlgelb der Schimmer von Angst.
    Auch der Vogel war verletzt. Einer seiner Flügel hing herab, vergeblich versuchte er, ihn am Körper zusammenzufalten. Er duckte sich und kreischte. Einzelne Federn hatten sich aus seinen Flügeln gelöst und segelten rings um ihn nieder. Seine Wut ließ Flammen aus ihnen emporschlagen, die zunächst schwarze Löcher in Wände und Teppiche brannten, dann loderten sie heller, fanden Kraft und breiteten sich knisternd aus.
    Als der Mann das sah, schrie er auf, und seine gesamte Aura erbleichte und färbte sich gelb.
    Ohne ihm oder sich selbst einen weiteren Augenblick zu schenken, um wieder zu Atem zu kommen, griff der Vogel erneut an. Er wollte, dass der Gegner starb, wollte sich über seinen zerrissenen Körper hermachen und sein Fleisch in sich hineinschlingen. Nur so würde er das Brennen heilen, das tief in seinem Körper saß.
    Nicht! Tu das nicht!
    Weiße Blitze. Blut und Feuer und der Gestank von Qualm.
    Die Beute am Boden –
    Hör auf!
    Es war, als hätte jemand Adeen gepackt und kopfüber zu Boden geschleudert. Farben zerflossen vor ihm und ließen schwankendes Grau zurück. Er kniete auf dem versengten Teppich, beide Hände auf Charrals Brust gepresst, als wolle er ihm mit den bloßen Fingern das Herz herausreißen. Der Magier war bewusstlos. Seine Robe hing in Fetzen herab, und Blut floss aus tiefen Wunden. Adeen starrte auf Charrals Gesicht. Wie sehr hatte er diesen Anblick gehasst – jetzt war es völlig

Weitere Kostenlose Bücher