Flügel aus Asche
die unmittelbare Gefahr überstanden war und er zusah, wie Talanna mit ruhiger Hand den Gürtel schloss, überwältigte ihn ein fast quälendes Gefühl der Bewunderung für ihre unbeugsame Verwegenheit. Er öffnete den Mund, aber alles, was er herausbekam, war ein schlichtes »Danke«, und dann: »Bist du schwer verletzt?«
Talanna schüttelte den Kopf. Sie löste die lederne Panzerung um ihren Oberschenkel, schnitt den Umhang der Wache in Streifen und wickelte den Stoff um die Wunde. »Halb so schlimm. Nun lass deine Freunde heraus.« Sie warf ihm den Schlüsselbund zu, der zusammen mit der Schwertscheide an ihrem frisch erbeuteten Waffengürtel gehangen hatte. Adeen brauchte mehrere Anläufe, bis es ihm gelang, das Schloss des Gitters zu öffnen. Yoluan, Schwärmer und der Jüngere der beiden Soldaten drängten sich um ihn und begrüßten ihn mit erleichtertem Schulterklopfen. »Wir dachten, sie hätten dich auch erwischt!«, sagte Yoluan. »Du bist ein Tausendsassa.«
»Ohne Talanna hätte ich es nie geschafft.« Adeen blickte zu der Draquerin, aber sie stand unbeteiligt da. »Sie hat uns nicht verraten.«
»Reden wir später darüber«, sagte Schwärmer. Auch mit dem alten Mann waren die Wachen alles andere als sanft umgesprungen. Seine rechte Gesichtshälfte war blutig geschlagen und angeschwollen, vor allem die Haut um sein Auge würde bald grün und blau schillern. »Wir müssen immer noch die Schriftrollen verbrennen.«
»Das habe ich schon erledigt.« Seitdem war bereits so viel passiert, dass Adeen es schon fast vergessen hatte.
Schwärmer riss ungläubig die Augen auf. »Wie hast du das gemacht?«
»Mit Magie«, erklärte er kurz. »Die Akademie brennt, und wir sollten verschwinden. Wo ist …« Nur mühsam gelang es ihm, sich auf den Namen des fehlenden Soldaten zu besinnen. »… Ghaves?«
Über Schwärmers sonst so lebendiges Gesicht legte sich eine plötzliche Starre. »Er hat uns tapfer verteidigt, oder besser gesagt, er hat es versucht. Mit der verbrannten Hand konnte er nicht kämpfen. Ich weiß nicht, wohin sie die Leiche gebracht haben.«
Adeen schüttelte den Kopf.
Und vor kurzem haben wir noch gestritten!
Schwärmer musterte ihn. »Du sagst, die Akademie brennt. Bist du durch das Feuer gelaufen? Oder wälzst du dich neuerdings in glühender Asche?«
Adeen brachte ein mattes Grinsen zustande. Das war Schwärmers Art zu fragen, ob es ihm gutging. »Beides. Und du? Und Yoluan?«
Schwärmer verzog das Gesicht, soweit es die Blutergüsse zuließen. »Rashijas Magierkrieger mochten unsere Verkleidung nicht. Aber du hast recht, wir müssen von hier verschwinden.« Sein Blick wanderte zu Talanna.
»Geht nur«, sagte Talanna, »und bringt euch in Sicherheit. Ich muss noch etwas erledigen.«
»Du hast geholfen, uns zu retten!« Yoluan trat auf sie zu, noch etwas unsicher, dann breitete er die Arme aus und quetschte sie an seine Brust. Ihr schmaler Körper verschwand fast in seiner Umarmung. »Und ich habe geglaubt, du hättest uns verraten – es tut mir so leid!«
Talanna wand sich unter seinem Griff hervor. »Mich kümmert nicht, was du glaubst.« Ihr Tonfall war scharf, als wolle sie ihn absichtlich beleidigen, und das freundliche Grinsen verschwand schlagartig von Yoluans Gesicht. »Du hast jedes Recht, mich für eine Verräterin zu halten. Ich habe euch nur um Adeens willen geholfen.«
Adeen runzelte die Stirn. »Um meinetwillen?«
»Ja. Deine Freunde sind frei. Nun schließ dich ihnen an und flieh aus Rashija, bevor das wahr wird, was wir eben nur gespielt haben: dass der Herrscher ein großes Blutopfer abhält, um seine Feinde auszulöschen, und etwas beschwört, was niemand aufhalten kann.«
Sie starrte ihn an, als wolle sie ihn allein durch die Unerbittlichkeit ihres Blicks in die Flucht schlagen. Auf ihrem Gesicht glänzte Schweiß, ihre Rüstung war voller Blut, sie vermied es, das verletzte Bein zu belasten, und von ihrer Hüfte hing ein wuchtiges Schwert, viel zu groß für sie. Dennoch gab es keinen Zweifel, dass sie entschlossen war, es mit jedem Gegner aufzunehmen – ob mit Erfolg, das bezweifelte Adeen.
»Komm mit uns«, sagte er. »Bitte, Talanna.«
Sie schüttelte den Kopf. »Gib mir den Zauber – du weißt schon.«
Die magische Formel, die Charral auf dem Rücken getragen hat.
Seine Finger schlossen sich widerstrebend um das zerknickte Papier. Nichts an diesem Zauber gefiel ihm – die Art, wie sie ihn an sich gebracht hatten, Talannas Geheimniskrämerei. Ob es
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