Flügel aus Asche
eine grausame Waffe für den Notfall war, die denjenigen, der sie benutzte, genauso zerstörte wie alles ringsum? Wollte Talanna deswegen nicht sagen, was der Zauber bewirkte und wofür sie ihn brauchte?
»Ich gebe ihn dir erst«, sagte er entschlossen, »wenn ich die Wahrheit kenne und weiß, was du damit tun willst.«
»Adeen,
nein.
« Schwärmers Hand packte seinen Arm, und als der alte Mann zudrückte, wurde Adeen erst bewusst, wie wenig Kraft er noch hatte. Ohne viel Mühe entwand er ihm das Papier und warf es Talanna vor die Füße. »Ich bin bereit zu glauben, dass sie uns nicht schaden wollte, aber sie …« Er warf ihr einen düsteren Blick zu. »Sie spielt ihr eigenes Spiel. Spiel es nicht mit. Unser Auftrag hier ist erfüllt, und wir ziehen uns zurück.«
Seine Worte wühlten Adeen auf. Sogar Schwärmer wollte oder konnte Talanna nicht vollständig vertrauen, selbst nachdem sie soeben sein Leben gerettet hatte. »Tut das, aber rechnet nicht mit mir«, sagte er. »Ich gehe mit Talanna.«
Talanna hatte sich nach dem Papier gebückt, und nun hielt sie es so fest gepackt, dass die Knöchel ihrer Faust hellblau hervortraten. Dass sie die Schriftrolle noch mehr zerknitterte, schien sie nicht zu bemerken. »Kommt nicht in Frage! Warum, glaubst du, tue ich das alles überhaupt?«
»Ich weiß nicht. Warum tust du es?«
»Deinetwegen, du Idiot.« Talannas Augen wurden zu schmalen gelben Schlitzen. »Wegen deiner verdammten blauen Augen, du Tagträumer. Damit du deine Bilder malen oder ein anderes Mädchen finden und mit ihr glücklich werden kannst.«
Es war eine Liebeserklärung, auch wenn sie klang wie eine Beschimpfung.
Sie liebt mich.
Das Bewusstsein darum erfüllte Adeen mit einem unerwarteten, heftigen Gefühl der Wärme und des Triumphes. Neben sich sah er Yoluan grinsen, aber es kümmerte ihn nicht. Erst einen Augenblick später verstand er, was Talanna mit ihren Worten
auch
gemeint hatte, und die Wärme wich einem Unbehagen, das ihn frösteln ließ. Der Gedanke an den Zauber als zerstörerische Waffe erschien ihm immer einleuchtender. Als sie die Gruppe beim Betreten Rashijas verlassen hatte, hatte Talanna sich aufgegeben.
Kein Wort darüber, kein Abschied … sie hat niemals geplant, mich noch einmal wiederzusehen.
»Du glaubst, durch … was auch immer du vorhast, kannst du Einfluss auf mein Schicksal nehmen?« Seine Stimme wurde von den Wänden zurückgeworfen, dumpf hallte das Echo durch den gefliesten Raum. »Darauf, ob ich male, ob ich glücklich bin? Glaubst du, ich bin glücklich, wenn du dich hier opferst? Ja, es stimmt, ich war wütend auf dich, und ich bin noch immer enttäuscht von dir. Aber du hast Rasmi nicht getötet. Es war Charral oder einer seiner Leute. Und auch wenn du einmal für den Herrscher gearbeitet hast, du hast dich entschlossen, Nemiz und uns zu helfen –«
Weiter kam er nicht, denn er wurde von Yoluans Aufschrei unterbrochen. »Was redest du da? Talanna hat für den Herrscher gearbeitet?«
Talannas Gesicht war tiefviolett angelaufen, ihre Augen blitzten. »Ja, das habe ich – als ich zu Nemiz’ Gruppe stieß. Ich habe Charral mit Informationen versorgt über alles, was er und seine Rebellen getan haben. Verstehst du jetzt, warum ich allein gehen muss?«
Im bläulichen Licht wirkte Yoluan noch fahler, als er ohnehin schon war. Hilflos öffnete und schloss er seine großen Hände. »Ich kann es nicht glauben … du bist doch mit uns geflohen … sie wollten dich töten …«
»Sie hat sich auf unsere Seite geschlagen«, erklärte Adeen geduldig. Yoluans Langsamkeit vereinfachte die Situation nicht gerade. Schwärmer und der Soldat schwiegen, aber auch ihre Mienen hatten sich verfinstert. »Weil sie erkannt hat, dass das, was sie getan hat, falsch ist.«
»Verdammt, ich hab wochenlang mit ihr in einem Zelt geschlafen!«, stieß Yoluan hervor. »Und du, Adeen – du wusstest davon? Warum hast du es mir nicht erzählt? Ich dachte, wir wären Freunde?«
»Wir hätten dir beide davon erzählen sollen«, sagte Adeen, »euch allen.« Er zögerte, blickte zu Talanna, die sich langsam von ihnen zurückzog, einen behutsamen, tastenden Schritt rückwärts, dann den nächsten. Wenn er sie ansah, glühte in ihm noch immer die Wärme, die er bei ihrem Liebesgeständnis empfunden hatte. »Versteht ihr nicht? Sie ist eine Draquerin, ein … ein Geschöpf des Herrschers.« Die Worte klangen hart, doch er fand keine sanfteren. »Sie ist aufgewachsen in dem Glauben, dass seine
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