Flügel aus Asche
zu sagen. »Heute hätte er mich fast erstochen. Nemiz hat recht. Für ihn und für die Regierung bin ich nur ein Stück Dreck. Wenn ich etwas Sinnvolles tun kann … als Krähe … dann will ich es tun.«
Bisher hatte Rasmi nur auf die Tischplatte gestarrt, jetzt hob er langsam den Kopf und sah Adeen an. In seinen Augen spiegelten sich die Kerzenflammen. »Du bist mutig«, sagte er leise. »Doch, du brauchst gar nicht den Kopf zu schütteln. Sie stoßen dich seit Jahren herum, aber du hast dir diesen Mut bewahrt.«
Vor dem Fenster herrschte nun schwarze Nacht. Allmählich wurde Adeen ruhiger.
Vielleicht,
dachte er,
hatte ich immer am meisten Angst vor Charrals Demütigungen.
Rasmis leerer Blick verriet, dass er eigenen Gedanken nachhing. »Ich möchte, dass du verstehst, warum ich es getan habe«, begann er schließlich. »Damals, als sie deine Mutter und dich geholt haben, war ich halb verrückt vor Wut. Ich wollte gegen diese Mörder kämpfen. Vielleicht hatte Nemiz meine Verzweiflung erkannt, als er mich ansprach. Er hat ein Gespür für die Stimmungen von Menschen. Er hat mir gezeigt, wie man das Richtige tut.«
Adeen schwieg. Er erinnerte sich kaum an seine Mutter, doch nach all der Zeit fühlte er sich immer noch für ihren Tod verantwortlich: Sie war gestorben, weil sie seine Mutter war. Auch wenn Rasmi immer beteuerte, sie habe ihn geliebt, würde er doch nie sicher wissen, ob es stimmte – immerhin war sie eine Draquerin gewesen. Hatte sie wirklich einen schwarzhäutigen Mischling wie ihn lieben können? Jedes Mal, wenn seine Gedanken zu dieser Frage zurückkehrten, empfand er denselben schmerzhaften Stich in seinem Herzen.
»Nemiz ist ziemlich überzeugend, nicht wahr? Und nachdem unsere ersten Aktionen erfolgreich verlaufen sind, war ich wie betrunken von dem Erfolg. Es fühlte sich zu gut an, Dinge zu tun, die der Regierung nicht gefallen … als hätte ich doch ein wenig Macht. Ich konnte den Kontakt zu ihm nicht wieder abbrechen. Auch nicht, als du dann plötzlich vor meiner Tür standest.«
Adeen fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich werde die Gesetze des Herrschers nie verstehen. Die Draquer stehen an der Spitze der Gesellschaft, aber wenn sie einen Fehler begehen, bezahlen sie als Erste dafür. So wie meine Mutter – was hat sie denn schon getan? Sie hat sich doch nur in einen Schreiber verliebt.«
Rasmi zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder fallen. »Ach, du weißt doch, Adeen, dass der Herrscher den Kopf voller alter Geschichten hat. Er glaubt, das Volk von Rashija stamme von den alten Drachen der Mythen ab, den Elementarwesen, gefärbt wie ihre Elemente. Und weil der Herrscher davon überzeugt ist, dass die Magiekundigen Rashijas dieses Erbe noch immer in sich tragen, schreibt er ihnen vor, mit wem sie Kinder bekommen dürfen und mit wem nicht, um so die Geschöpfe der Sagen zurückzuholen. Aber seine Draquer sind keine mythischen Wesen. Sie mögen rote oder blaue Haut haben und Haare wie Flammen und Wasser, und sie mögen auch mächtige Magiekundige sein, aber sie sind in meinen Augen bedauernswert. Sie entsprechen einem Bild, das sich ein kranker Kopf ausgedacht hat. Was sie an Freiheit haben, verlieren sie, sobald sie zu einer Ehe gezwungen werden. Deswegen geht der Herrscher auch so grausam mit ihnen um, härter als mit den Magiern, die seinem Bild nicht entsprechen: Die Draquer sind sein lebendiger Traum, und er erträgt es nicht, wenn sie sich anders verhalten, als er es erwartet.« Bitter fügte Rasmi hinzu: »Man sollte ihn umbringen und diesem Wahnsinn endlich ein Ende machen. Aber offenbar hat dieser Verrückte den Tod selbst betrogen, so lange, wie er Rashija schon beherrscht.«
Adeen war erschrocken – zum ersten Mal hörte er Rasmi sagen, dass er jemandem den Tod wünschte.
»Und jetzt leben wir in einer Welt«, fuhr Rasmi fort, »in der die Farbe von Haut und Haaren verrät, wie viel jemand wert ist – ob er nun bunt ist wie ein Draquer, hell wie ein Magier oder so dunkel wie du, Adeen.« Rasmis Blick wanderte zu seinen verhüllten Leinwänden. »Farben sind ein Teil der Schönheit unserer Welt,
alle
Farben. Mir wird schlecht bei dem Gedanken, wozu der Herrscher sie missbraucht.«
Adeen kannte diese Worte bereits, doch heute verstand er zum ersten Mal wirklich, wie ernst es Rasmi damit war. Flüchtig fragte er sich, ob seine schwarze Hautfarbe vielleicht auch mit Magie zusammenhing. Immerhin war er zur Hälfte ein Draquer. Aber vielleicht musste er
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