Flügel aus Asche
auf dem Weg zu den Feldern befinden, aber hier brannte nirgends Licht in den Fenstern, und es roch nach Moder und kaltem Stein. Diese Häuser mussten verlassen sein. Zur Rechten ragten in der Ferne die Türme der Akademie in den grauen Himmel auf. Sie schienen zu schwanken und zu verschwimmen wie Spiegelbilder in einer Pfütze. Wenn er sich an ihnen orientierte, wusste Adeen, dass er zumindest sein Quartier wiederfinden würde. Aber dorthin konnte er unmöglich zurückkehren.
Er stolperte voran. Plötzlich sah er an einer Biegung der Gasse etwas Helles schimmern. Ein Haus neigte sich dort über die Straße. Vor Jahren war es vielleicht einmal ein stattlicher Bau mit Säulen vor dem Eingang gewesen, aber nun wies seine Vorderseite mehrere große Löcher auf, und von den Säulen waren nur noch Stümpfe übrig. Das Dach war in der Mitte eingebrochen, nur die Seite, die Adeen zugewandt war, schien weitgehend intakt. Auf den Dachziegeln wucherte ein Busch inmitten von Moos und Dreck. Er hing voller weißglänzender Beeren. Andere Sträucher derselben Art wuchsen überall in der Ruine, und auch sie trugen Beeren, aber dieser eine glühte wie ein Leuchtfeuer. Das musste das Haus sein, von dem Nemiz gesprochen hatte.
Unter Adeens Füßen fühlte sich die Straße bucklig und abschüssig an. Von den Rändern seines Gesichtsfelds her waberte Dunkelheit auf ihn zu. Was suchte er überhaupt, was erwartete ihn in diesem Haus?
»Bleib so stehen, oder du bist tot!« Die Stimme war ganz unvermittelt da, ebenso wie die kalte Messerklinge an seiner Kehle. »Was hast du hier zu suchen?«
Adeen wollte Nemiz’ Namen nennen, brachte aber nur ein Keuchen heraus. Erst beim zweiten Anlauf gelang es ihm zu sprechen. »Nemiz – er ist verletzt … ein Stück die Straße hinunter …«
»Er lebt?« Von einem Moment auf den anderen war die Schärfe aus der Stimme verschwunden. »Talanna hat gesagt … was ist passiert? Wer bist du?«
Das Messer verschwand. Vor Adeen tauchte das schmutzverkrustete Gesicht einer alten Frau auf. Er wollte antworten, aber es war, als würde er in die fremden Augen hineinfallen, die sich wie ein Abgrund aus Schwärze vor ihm öffneten. Die Hände, die ihn auffingen, als er nach vorn sackte, spürte er schon nicht mehr.
4
Kriegsrat
A deen träumte. Etwas Unsichtbares jagte ihn, aber statt davonzulaufen, kniete er am Boden und malte einen Vogel auf einen weißen Felsen. Er hatte keine Farbe, nur schwarzen Schlamm. Mit bloßen Händen wühlte er darin und verteilte ihn auf der Felsfläche. Er wusste, er musste sich beeilen. Was auch immer ihn verfolgte, war nahe. Er spürte seine Gegenwart wie einen Druck auf der Brust, der ihm den Atem zu nehmen drohte. Wenn er das Bild nur fertigbekam … es würde ihn beschützen, dessen war er sich sicher. Hatte er diesen Vogel nicht irgendwann schon einmal gesehen? Unter seinen Händen begann das Bild aus getrocknetem Dreck zu flattern, krümmte den Hals, als wolle es ihn anblicken, und auf einmal war Adeen nicht mehr überzeugt, dass es wirklich ein Verbündeter war. Dann schnellte der Vogel empor, seine Flügel peitschten, Staub wirbelte auf. Er war riesig, seine Schwingen füllten den gesamten Himmel. Angst erfasste Adeen, die unvermittelte Erkenntnis, dass der Feind, der ihn gejagt hatte, und der Vogel ein und dasselbe Wesen waren. Er wandte sich um und begann zu rennen, doch er kam nur wenige Schritte weit, dann stieß der Vogel in einem Regen aus trockener Erde und Asche auf ihn herab. Mit dem Gesicht am Boden rang Adeen nach Atem. Der beißende Geruch nach Verbranntem füllte seine Lungen. Er spürte, wie ihm der scharfe Schnabel zwischen die Rippen fuhr, und schrie.
Etwas Kühles berührte sein Gesicht, eine Stimme murmelte beruhigende Worte. Es musste Rasmi sein. Er war krank, und Rasmi war zurückgekommen, um sich um ihn zu kümmern, wie er es immer getan hatte. Ihm konnte nichts zustoßen, solange Rasmi bei ihm war.
Aber Rasmi war tot. Er hatte doch seine Leiche gesehen, oder war auch das nur ein Traum gewesen? Der Felsen, der Schmutz, der Aschevogel, war das die Wirklichkeit?
Adeen wollte die Augen öffnen, doch sogar dazu fehlte ihm die Kraft. Es fühlte sich an, als falle er in einen Tunnel, fort von der Stimme. Er kniete im Schlamm, vor sich den weißen Felsen, und der Traum begann von neuem, wieder und wieder.
Irgendwann, viel später, erwachte er erneut, und dieses Mal gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Blasses Licht sickerte in seinen Kopf. Die
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