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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Adeen fühlte Nemiz’ Herz hämmern, roch seinen Schweiß und den Gestank nach Asche und Blut. Und er sah nun auch die reglosen Körper, von denen Nemiz fortgekrochen war, zwei Wachen.
    »Sie sind noch in der Nähe.« Endlich hatte Adeen seine Stimme wiedergefunden. »Vorhin habe ich gehört, wie Charral ihnen Befehle gegeben hat.«
    »Wer?«
    »Ihr Anführer. Er ist ein hohes Tier an der Akademie.«
    »Du kennst den Dreckskerl? Wir müssen uns später … wieder mit ihm befassen … jetzt … weg hier, schnell.«
    »Aber wir können Rasmi nicht einfach hier liegen lassen!«
    »Lebt er noch?«
    Adeen presste die Lippen aufeinander und schüttelte stumm den Kopf.
    »Dann … müssen wir es sogar. Los, beweg dich! Oder willst du genauso enden?«
    Noch einmal blickte Adeen auf Rasmis Leiche zurück. Die Straße verschwamm vor ihm. Er wünschte, er hätte seinem Ziehvater wenigstens noch die Augen zugedrückt. Aber was für einen Unterschied machte das schon? Vielleicht hatte Nemiz recht, und sie mussten sich in Sicherheit bringen, auch wenn ihm sein Leben im Augenblick nicht das Geringste bedeutete.
    »Wohin?« Es war nur ein einziges Wort, doch es kostete ihn viel Kraft.
    »Die Gasse dort, links von uns … dann geradeaus.«
    Nemiz’ Gewicht drückte schwer auf Adeen, und dass sich der Mann mit aller Kraft an ihm festklammerte und ihm die Rippen zusammenquetschte, machte es nicht besser. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Trotzdem setzte er einen Fuß vor den anderen, taumelte vorwärts und zog Nemiz mehr mit sich, als dass er ihn stützte. Nach den ersten Metern wurde es etwas einfacher. Er war zehn Schritt weit gekommen, da würde er auch die nächsten zehn Schritte schaffen … er war bis ans Ende der Gasse gelangt, da konnte er auch das Ende der nächsten erreichen …
    Vor ihnen auf dem Pflaster lagen Tote in Blutlachen, zusammengekrümmt, teils in den roten Umhängen der Wachen, teils in dunkler Kleidung. Mit rauher Stimme ermahnte Nemiz Adeen, nicht nach den Toten zu schauen, sondern über die Leichen hinwegzusteigen. Er zitterte am ganzen Körper, und ein flüchtiger Gedanke schob sich in Adeens Kopf:
Wen von diesen Toten hat er gekannt?
    Nacht und Feuer flossen vor seinen Augen ineinander, und während sie sich von den Flammen entfernten, konnte Adeen immer weniger erkennen, wohin er trat. Der Himmel nahm allmählich eine bleigraue Farbe an. Das Licht hätte ausreichen sollen, um zumindest Konturen auszumachen, aber er war blind. Er sah nur Lichtfunken, die langsam vor ihm niederregneten, Gassen, die sich sonderbar zu biegen oder zu stauchen schienen, und Rasmis tote offene Augen. Ohne Nemiz’ Stimme, die ihn lenkte und anwies, wohin er seine Füße setzen musste, hätte er sich irgendwo am Straßenrand fallen lassen und gewartet, bis ihn Charral oder seine Leute fanden.
    »Ein Haus … mit einem Busch … auf dem Dach«, flüsterte Nemiz ihm ins Ohr. Seine Stimme war schwächer geworden, sein eiserner Griff um Adeens Körper hatte sich gelockert, und sogar sein Zittern hatte nachgelassen. »Wir sind fast da …« Mit einem Keuchen holte er Luft, und plötzlich ließ er los und sackte zusammen. Es gelang Adeen gerade noch, ihn zu stützen, damit er nicht allzu hart auf dem Pflaster aufschlug, aber um ihn aufrecht zu halten, fehlte ihm die Kraft. Ausgestreckt wie zum Schlafen, lag Nemiz auf dem Stein. Er schien nicht völlig bewusstlos zu sein, denn seine Lippen bewegten sich. Zu hören war allerdings nur sein mühsamer Atem. Mit letzter Kraft zerrte Adeen ihn über den Boden, unter ein Gebüsch am Straßenrand, damit er sich wenigstens notdürftig in Deckung befand. Eine feuchte Spur blieb auf der Straße zurück.
    Für Adeen war Nemiz nicht viel mehr als ein Fremder, aber die Vorstellung, ihn allein in der Nacht zurückzulassen, war unerträglich. Was hatte Nemiz gesagt? Ein Haus mit einem Busch auf dem Dach? Konnte er dort Hilfe finden? Adeen starrte in die Dunkelheit und versuchte, tief durchzuatmen, damit sein Blick klarer wurde. Jeder Atemzug hinterließ einen stechenden Schmerz, und langsam erinnerte sich auch der Rest seines Körpers daran, dass er verletzt war. Sein Kopf begann immer heftiger zu pochen.
Nicht mehr lange, und ich werde zusammenbrechen wie Nemiz.
    »Ich komme zurück«, versicherte er dem Verletzten und hoffte, dass er sein Versprechen halten konnte. Wohin sollte er sich wenden? In diesem Teil der Stadt war er noch nie gewesen. Um diese Zeit mussten sich die ersten Arbeiter bereits

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