Flügel aus Asche
immer ziemlich weh tun. Beweg dich ganz langsam. Wie geht’s deinem Kopf? Ist dir schwindelig? Oder übel?«
»Ein wenig, aber es geht mir gut … glaube ich.« Adeen fühlte sich sonderbar. Wie konnte er hier stehen, Wasser trinken und mit dieser Frau sprechen, während Rasmi tot war? »Wer seid Ihr? Habt Ihr Euch um mich gekümmert?«
»Großmutter.« Sie lächelte und zeigte einige Zahnlücken. »So nennen sie mich hier. Auch wenn der Herrscher dafür gesorgt hat, dass ich keine Großmutter mehr bin, sind hier alle ein bisschen wie meine eigenen Kinder und Enkel. Zum Glück verstehe ich was von Heilkunst. Dein Kopf ist reichlich angeschlagen, und du hast zwei gebrochene Rippen. Aber dafür, dass dir die Wachen des Herrschers ihre Zauber um die Ohren gehauen haben, bist du bei guter Gesundheit. Mehr Glück als Verstand, eh?«
»Vielleicht.« Adeen war nun überzeugt, dass er ihr vertrauen konnte. »Jedenfalls … vielen Dank für Eure Hilfe. Und dabei kennt Ihr mich gar nicht.«
»Nemiz hat mir erzählt, was du für ihn getan hast. Wer ein Freund von ihm ist, ist auch mein Freund.«
Ganz langsam sickerte die Erinnerung in Adeens Kopf zurück. Ja, da war ein anderer Verletzter gewesen, Nemiz, er hatte ihn durch die Straßen gezerrt … »Was ist mit ihm? Ist er …?«
Die alte Frau zog ein Gesicht, als hätte sie in etwas Saures gebissen, und winkte ab. »Er ist schon wieder unterwegs – sollte mich nicht wundern, wenn sie ihn demnächst in einer Schubkarre zurückfahren müssen! Ich habe ihm gesagt, mit seinen Verletzungen muss er mindestens zwei Wochen liegen bleiben. Er ist ein größerer Dickkopf, als meine Tochter es jemals war! Meinte, jetzt, wo die Landung der Stadt bevorsteht, dürfe er keine Zeit verlieren. Pah! Wenn er so weitermacht, verliert er alle Zeit, die ihm noch bleibt, und zwar auf einmal!«
Adeen atmete auf, als er hörte, dass der Mann noch lebte. Auch wenn die Erinnerungen undeutlich waren, glaubte er zu wissen, dass Nemiz mehr tot als lebendig gewesen war, als er ihn zuletzt gesehen hatte. Erneut musterte er die Frau. Auf den zweiten Blick wirkte sie kräftiger, als es zunächst den Eindruck gemacht hatte.
»Ihr gehört zu den Rebellen, nicht wahr?«, fragte er.
Großmutter lachte. »Kann man so sagen. Talanna und Yoluan haben dich hier runtergetragen. Du erinnerst dich nicht, stimmt’s?«
Er schüttelte den Kopf. »Sind noch andere hier?«
»Sie kommen erst in ein paar Stunden zurück, wenn es dunkel wird. Weißt du, was das für ein Ort ist?«
»Ein Haus mit einem Busch auf dem Dach?«
»Man nannte es früher ›Museum‹. Hier wurden Dinge aus der Vergangenheit gesammelt, damit die Menschen sie ansehen können. Der Herrscher hat es vor langer Zeit leer räumen und verfallen lassen. Jetzt kommt außer uns niemand mehr hierher. Der Bau selbst könnte zwar jeden Tag zusammenbrechen, aber die Kellerräume sind stabil. Sie wurden aus dem Stein herausgeschlagen, um all die Schätze von damals sicher aufzubewahren. Jetzt bieten sie uns Sicherheit.«
»Ist dieser Teil der Stadt verlassen?«
»Ja, schon seit einigen Jahrzehnten. Hier wohnten Draquer, aber unser geliebter Herrscher hat sie in seinen Schlachten sterben lassen wie so viele andere. Kein Wunder, dass er so verzweifelt versucht, neue zu produzieren.« Die Frau unterbrach sich und sah Adeen aufmerksam an. »Ich rede zu viel, und du wirst mit jedem Moment blasser. Leg dich wieder hin. Ich hole dir ein paar Happen zu essen und Wasser, wenn du dich waschen willst.«
»Ja, sehr gern. Vielen Dank.«
Sie musste scharfe Augen haben. Adeen hatte tatsächlich gespürt, wie seine Kraft nachließ, je länger er auf den Beinen stand, und er ließ sich dankbar auf die Matte sinken. Sofort atmete es sich leichter.
Die alte Frau hatte gesagt, dass er drei ganze Tage versäumt hatte. Drei Tage, an denen er nicht zur Arbeit erschienen war. Was mochte Kiven, der Aufseher, jetzt wohl glauben, wo er steckte? Adeen wusste, dass Kiven es hasste, wenn sich etwas seiner Kontrolle entzog. Er musste zurückkehren, ehe er seine Arbeit verlor und auf der Straße landete. Aber warum machte er sich darüber eigentlich Gedanken? Das Leben, das er noch bis vor kurzem geführt hatte, kam ihm nun vor wie das eines Fremden. Es erschien ihm unfassbar, dass er vielleicht die Zeichen der Schriftrollen niedergeschrieben hatte, durch deren Magie Rasmi getötet worden war.
Rasmi …
Als er spürte, wie ihm die Tränen kamen, zog er sich die Kapuze seiner
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