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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Mundwinkel. »Ich muss los«, sagte sie abrupt. »Auf dich wartet eine Menge leeres Papier.«
    »Wollt Ihr … willst du nicht vielleicht noch mit mir essen? Yoluan hat Brot gebracht …«
    »Morgen vielleicht«, erwiderte sie. »Es fällt auf, wenn ich zu lange fortbleibe.«
    Dann war sie weg. Adeen ließ sich auf den Schemel vor dem improvisierten Tisch sinken und fragte sich, warum sein Herz so heftig klopfte. Was für ein verrücktes Gespräch! Hatten sie sich auf so etwas wie einen Waffenstillstand geeinigt? Hätte er sich bei Talanna für sein Misstrauen vor ein paar Tagen entschuldigen sollen? Aber er wusste ja nicht einmal, ob er ihr jetzt vertraute! Andererseits, die Vorstellung, dass diese Frau Charrals Kinder zur Welt bringen sollte … Charral mit seinem widerwärtigen Lachen, mit diesen abscheulichen, glatten Händen … er konnte verstehen, dass sie zu allem bereit war, um dieser Ehe zu entgehen.
    Adeen schob den Gedanken beiseite. Talanna hatte recht, vor ihm lag viel Arbeit.

    Er schrieb bis tief in die Nacht hinein, bis ihm Rücken und Hände weh taten, schlief nur wenige Stunden und arbeitete dann weiter. Wie von selbst glitt das angespitzte Rohr über das Papier. Die Arbeit half ihm, sich nicht mehr so unruhig und ausgeliefert zu fühlen. Je länger er über Nemiz’ Plan nachdachte, desto mehr schien ihm das alles ein Himmelfahrtskommando zu sein, ohne eine Möglichkeit zur Flucht. Wahrscheinlich würde er in wenigen Tagen tot sein, und Großmutter, Yoluan und Talanna ebenfalls. Trotz allem hoffte er. Nemiz schien überhaupt keine Angst zu kennen, nur Vertrauen in seine Stärke und seinen Plan.
    Die Papierbögen mit fertigen Eiszaubern – seine halb erfrorenen Finger verrieten Adeen, dass Talanna die Wahrheit gesagt hatte und es sich wirklich um Eiszauber handelte – bildeten einen kleinen Stapel neben ihm auf dem Tisch. Gegen die Kälte trug er Handschuhe, die ihm Großmutter gebracht hatte. Damit sie ihm passten, hatte er die Fingerspitzen abgeschnitten. Immer wieder blieben seine Fingerkuppen an dem eisigen Rohr haften. Häufig musste er Pausen machen und sich in die Hände hauchen. Der süßlich bittere Geruch der Tinte setzte sich im gesamten Raum fest. In der Akademie flüsterten sich die Schreiber zu, dass der Grundstoff dieser Tinte Blut war, das die Magier bei düsteren Ritualen gewannen, aber Adeen hatte nie viel auf solche Gerüchte gegeben.
    Während er im Licht der Kerzen sorgfältig und präzise ein Schriftzeichen ans andere reihte, wanderten seine Gedanken. An der Akademie war er ein Niemand gewesen, den man nach Belieben herumstoßen konnte, und auch jetzt fühlte er sich kaum anders, aber eine Frage beschäftigte ihn zunehmend: Warum war er überhaupt in der Lage, magische Schriftrollen herzustellen?
    Alle Schreiber, die er kannte, hatten übereinstimmend berichtet, dass sie von der Regierung gezwungen worden seien, diesen Beruf auszuüben und keinen anderen. Soweit er wusste, stammten die Ältesten von ihnen noch vom Boden. Den Gerüchten zufolge, die durch Rashija schwirrten, waren sie als Kinder bei der letzten Landung der Stadt vor fünfzig Jahren von den Magiern von ihren Familien getrennt und in die Akademie verschleppt worden. Der Herrscher gestattete ihnen nur Eheschließungen mit anderen Schreibern, und so arbeiteten inzwischen auch ihre Nachkommen in der Akademie. Fast alle von ihnen hatten wie Adeen dunkles Haar, manche sogar braune Augen – fast kam es ihm so vor, als hätte die Erde, von der sie stammten, ihre Körper mit der Kraft ihrer Farben getränkt. Auch wenn Adeen nie ganz zu ihnen gehört hatte, hatte er sich unter ihnen zumindest nicht so hässlich gefühlt wie gewöhnlich: ein Mischling mit teerfarbener Haut und hellen Augen. Kein Wunder, dass man ihn mied, so wie er aussah!
    Er war Abschaum. Und trotzdem hatte er diese Fähigkeit, diese Macht, Zauber auf Papier zu bannen. Bisher hatte er nie darüber nachgedacht, warum das so war.
Aber bisher habe ich ja auch an jedem Abend meine fertigen Zauber brav an Kiven abgeliefert.
    Die Schriftzeichen vor seinen Augen verschmolzen, formten Gestalten … Krallen und Hörner … und Flügel. Wieder Flügel. Adeen blinzelte, und das Bild verblich. Sein Nacken schmerzte. Erst jetzt spürte er, dass er die Zähne zusammengebissen hatte. Wie lange saß er schon hier?
    Inzwischen war ein weiterer Tag vergangen. Hatte Talanna nicht gesagt, sie wolle wiederkommen? Adeen seufzte, trocknete sein Schreibrohr und griff nach

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