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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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sich wieder nach Talanna umblickte, war sie verschwunden.
    »Warum tut Nemiz das alles?«, fragte er schließlich, als er an Großmutters Seite in sein Quartier zurückkehrte. »Weshalb riskiert er sein Leben, damit andere aus dieser Stadt entkommen können? Oder glaubt Ihr, es geht ihm vor allem darum, selbst aus Rashija zu verschwinden?«
    Die alte Frau zuckte die Achseln. »Wenn du verstehen willst, was in Nemiz’ Kopf vorgeht, fragst du am besten Yoluan. Er kennt ihn von uns allen am längsten. Ich weiß nur, dass Nemiz angeblich früher als Bediensteter in einem der wichtigen Draquer-Häuser gearbeitet hat.«
    »Ist er in Schwierigkeiten geraten?«
    »Soviel ich weiß, nicht er, sondern seine Frau. Sein Dienstherr machte mit ihr, was er wollte, und als sie schwanger wurde, schlug der Dreckskerl sie tot. Er hatte wohl Sorge, sie würde einen Mischling zur Welt bringen. Nemiz tat alles, was er konnte, um sie zu schützen, und wäre dabei fast auch gestorben. Der Draquer hat ihm das Bein zertrümmert, und nur, weil Nemiz so einen harten Schädel hat, ist mit seinem Kopf nicht dasselbe passiert.«
    »Das ist furchtbar.« Adeen kannte die Willkür und Grausamkeit der Oberschicht gut genug. Nun glaubte er Nemiz etwas besser zu verstehen. »Wie kann er mit Talanna zusammenarbeiten, nach allem, was die Draquer ihm angetan haben?«
    »Auch die Draquer haben sich dieses Leben nicht ausgesucht.«
    Und für seinen verrückten Plan braucht er ihre Fähigkeiten,
dachte Adeen beunruhigt,
genauso wie meine.

5
    Einsame Seelen
    D ie nächsten Tage blieb Adeen unter Großmutters Aufsicht im Museum. Das Warten auf Nemiz’ weitere Anweisungen zermürbte ihn. Obwohl Großmutter ihn immer wieder beschwor, sich hinzulegen und sich auszuruhen, damit er vollständig gesund werden konnte, drängte es ihn, sich irgendwie zu beschäftigen. Er entwischte der alten Frau und begann, auf eigene Faust in dem verlassenen Museum umherzustreifen. Bald hatte er herausgefunden, dass die Rebellen hier alle Kunstwerke lagerten, die sie auf ihren bisherigen Überfällen gerettet hatten. Die meisten waren in schlechtem Zustand, feucht, von Getier angenagt und mit Tüchern mehr schlecht als recht vor dem weiteren Verfall geschützt, aber für Adeen waren sie wie ein Blick in eine atemberaubende fremde Welt. Stunden um Stunden verbrachte er damit, sich vor die Leinwände zu kauern und die Farben mit einer matten Lampe abzuleuchten. Die Vielfalt der Bilder wühlte ihn auf: Da gab es Alltagsszenen, Menschen, die auf der Straße zusammenstanden und sich unterhielten – ein seltener Anblick unter dem Regime des Herrschers –, Landschaften, Bilder, auf denen der Himmel ein einziger Tanz farbiger Wirbel war, und andere, die nur aus Farben zu bestehen schienen. Sosehr ihn das alles faszinierte, es machte ihn auch traurig, denn er wünschte sich, dass auch Rasmis Bilder hier stehen würden. Er drängte Großmutter, sie mit ihm zusammen aus Rasmis Quartier zu bergen, vor allem das wundervolle Drachenbild, das er zuletzt gesehen hatte, aber sie lehnte ab. »Bist du noch ganz bei Verstand? Auf der Straße sind überall Wachen, und Rasmis Haus wurde längst durchsucht. Nein, du machst, was wir dir sagen, oder du bringst uns alle in Gefahr!«
    Adeen gab sich geschlagen, sie hatte ja recht.
    Mit der Zeit ließ das Pochen in seinen Rippen nach, bis er sich schließlich wieder ohne Schmerzen bewegen und leichter atmen konnte. Jeden Abend kam Yoluan vorbei und brachte frisches Wasser, Essen und Brennmaterial für das Feuerbecken. Großmutter wies ihn an, was sie am nächsten Tag benötigen würde – Teekräuter, frischen Verbandsstoff, Nähzeug und andere Kleinigkeiten –, und am folgenden Tag lud Yoluan zuverlässig alles in einem großen Stoffbündel auf ihrem behelfsmäßigen Tisch ab. Nur manchmal entschuldigte er sich zerknirscht, das Seifenkraut oder etwas anderes vergessen zu haben. Noch immer hatte sich Adeens Nase nicht an seinen Stallgeruch gewöhnt, doch wie der breitschultrige Mann dort am Feuer stand und sich die Hände wärmte, strahlte er große Selbstsicherheit aus und gab Adeen das Gefühl, als könne ihnen nichts zustoßen. Yoluan erzählte, dass draußen die Wachen erneut verstärkt worden waren und die Sammelbecken vom ständigen Regen fast überliefen, nachdem es monatelang kaum Wasser gegeben hatte. Seine tiefe Stimme erfüllte den Raum und vertrieb die lähmende Stille. Um seine Hände zu beschäftigen, hatte Adeen begonnen, mit Kohlestücken

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