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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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auf die Wände zu kritzeln: Vögel, immer wieder Vögel. Das lenkte ihn ein wenig ab. Die Wand war der Himmel, und seine Vögel flogen darin, die meisten weit entfernt, nur schwarze Linien. Manche kamen aber auch so nahe, dass unter seiner Hand die einzelnen Federn ihrer Flügel entstanden. Manchmal, wenn er zeichnete, glaubte er beinahe die aufgewirbelte Luft der Schwingen zu spüren, sogar die Federn selbst, wie sie seine Wange streiften. Der Anblick der gemalten Vögel tröstete ihn.
    Großmutter störte seine Malerei nicht. »Du machst ein Gesicht, als wolltest du auch am liebsten davonfliegen«, sagte sie, und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Bald ist es so weit.« Obwohl sie lächelte, konnte Adeen ihren Blick nicht deuten.
    Einmal arbeitete er an einem Bild, als Yoluan das Quartier betrat. Er hörte ihn gebrummte Worte mit Großmutter wechseln, konnte sich aber nicht von seiner Arbeit lösen, um ihn zu begrüßen. Erst, als er spürte, dass Yoluan direkt hinter ihm stand, fuhr er herum.
    »Du bist ja ein Magier!« Mit halb geöffnetem Mund starrte der Mann auf seine Hände.
    Adeen fragte sich, wie lange Yoluan ihn schon beobachtete. Nun wurde er verlegen und wusste nicht einmal, warum. »Das sind nur Vögel. Nichts Besonderes.«
    »Aber was für welche! Die fliegen einem fast ins Gesicht! So was hab ich noch nie gesehen. Wie machst du das bloß – ich wüsste ja nicht einmal, wie ich die Kohle halten soll.«
    Adeen sah ihn verblüfft an. Auf Yoluans breitem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck, beinahe so etwas wie Hingabe.
    »Du hättest erst die Bilder von Rasmi sehen sollen. Der war ein richtiger Künstler.«
    »Bist du doch auch. Die Vögel sehen so lebendig aus. Fast noch mehr als die echten, und es sind doch bloß ein paar Striche.«
    Zögernd, fast respektvoll näherte sich Yoluan der Wand und streckte eine Hand nach der Zeichnung aus, an der Adeen gerade arbeitete, einer aufflatternden Taube. Seine groben Finger fuhren die Umrisse des Vogels behutsam nach, um die Kohle nicht zu verschmieren. Dann wandte er den Kopf und betrachtete die Zeichnung daneben, blickte von Vogel zu Vogel, bis sein Blick über die gesamte Wand gewandert war. Erschrocken stellte Adeen fest, dass er, ohne sich dessen bewusst zu sein, die Wand mit Vögeln gefüllt hatte, einem ganzen, lebendigen Vogelschwarm.
    »Das sind wir«, sagte Yoluan eifrig, »nicht wahr? Wir fliehen aus Rashija und sind frei.«
    Seine offensichtliche Begeisterung überrumpelte Adeen. »Die Bilder sind einfach da, sie verfolgen mich. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was sie bedeuten könnten.« Auf einmal wünschte er sich, Rasmi hätte erlebt, wie Yoluan über seine Bilder sprach, auch wenn sie nur Kritzeleien auf einer Wand waren. »Ich wollte, ich hätte Papier und Farben.«
    »Das wirst du irgendwann haben, Krähe.« Aus Yoluans Mund klang das Wort »Krähe« nicht unfreundlich. »Wenn Nemiz uns erst hier rausgebracht hat, beschaff ich es für dich.«
    Adeen betrachtete Yoluan nachdenklich. Er schien keine Zweifel an Nemiz’ Plan zu kennen. Und seine Freundlichkeit war Adeen so fremd, dass er nicht wusste, wie er sie annehmen sollte. Es gab vieles, was er antworten wollte, aber nichts davon schien ihm angemessen.
    Also sagte er nur: »Danke.«

    »Adeen.«
    Er zuckte zusammen und richtete sich aus der Hocke auf. Seine Beine waren eingeschlafen, während er in den Farbstrudel des Bildes, das er gerade betrachtete, hineingesaugt worden war.
    Hinter ihm stand Talanna. »Ich habe dich gesucht. Gehen wir in dein Quartier.«
    Sein Herzschlag setzte für einen Moment aus und beschleunigte sich dann. Sie hatte sich in einen braunen, leicht ausgefransten Umhang gehüllt, wie ihn die einfachen Leute auf der Straße trugen, unter dem Arm hielt sie ein Stoffbündel.
    »Guten Abend, Talanna.« Anscheinend war er ihr nach der letzten Begegnung nicht einmal eine halbwegs freundliche Begrüßung wert. Er breitete das Tuch wieder behutsam über die Leinwand. »Nemiz muss diese Bilder unbedingt in Sicherheit bringen«, sagte er, um seine plötzliche Aufregung zu überspielen. »Die fallen ja schon auseinander.«
    Talanna warf dem Bild nur einen flüchtigen Blick zu. »Wir können nur hoffen, dass Nemiz weiß, was er tut. Du kannst mit der Arbeit anfangen. Hast du Licht? Einen Arbeitsplatz?«
    »Oh ja. Natürlich.«
    Sie kehrten in seine Unterkunft zurück. Ohne ein weiteres Wort legte Talanna ihr Bündel auf die Kiste, die ihm als Tischersatz diente, und

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