Flügel aus Asche
faltete den Stoff auseinander. Sie hatte ihm alles gebracht, was ein Schreiber für seine Arbeit brauchte: angespitzte Rohre, saubere Lappen, um sie zu reinigen, und Kristallphiolen mit farbiger Tinte, die sanft glühte. Dies war Tinte der Akademie, durchsetzt mit Wassermagie, die ihr ihre besondere Wirkung verlieh.
»Woher …?«, fragte Adeen.
»Aus der Akademie, woher sonst? Meine Schwester ist Kommandantin beim Militär, man kennt mich dort. Außerdem bin ich Charrals Verlobte. Ich komme überallhin.«
»Das war trotzdem bestimmt nicht einfach.«
Talanna zuckte die Achseln. »Was uns fehlt, sind genügend Kapseln aus Siltkristall, um alle Schriftrollen zu versiegeln. Ein Teil von ihnen wird nach der Fertigstellung allmählich seine Wirkung verlieren. Aber das braucht keiner von den anderen zu wissen. Nemiz will, dass du Eiszauber kopierst. Sie werden die Gegner verlangsamen und vielleicht sogar ihr Herz lähmen. Sie wirken zuverlässiger, wenn auch nicht so tödlich wie die Blitzzauber, die Charral gern verwendet.« Sie rollte einen Papierbogen auf der Kiste auseinander und beschwerte ihn an beiden Enden mit Tintenfässern. »Benutz diese Vorlage. Den Rest kann ich wohl dir überlassen. Stell so viele Zauber fertig, wie du kannst. Morgen bringe ich dir andere Vorlagen, je nachdem, wie Nemiz entscheidet.«
Adeen sah auf die Schriftzeichen, die sich über das Blatt zogen. Ihre Anordnung war ihm nicht geläufig. Talanna behauptete, es handle sich um einen Eiszauber, aber wer konnte wissen, was der Zauber auf dem Blatt tatsächlich bewirkte? Doch ohne Zweifel hatte sie ihm ein Original gebracht, denn er erkannte den Stempel der Akademie. Sie musste einiges riskiert haben – es sei denn, die Akademiemagier hatten ihr die Beute nur allzu freiwillig überlassen …
»Warum helft Ihr Nemiz? Warum habt Ihr damals … mir geholfen?«
»Konzentrier dich auf den Zauber.«
»
Ich
bin nur eine Krähe. Ich habe nichts zu verlieren, vor allem jetzt nicht, nachdem Rasmi tot ist. Aber
Ihr
habt alles, was man sich in Rashija nur wünschen kann.«
Bildete er es sich nur ein, oder glitt ein Schatten über ihr Gesicht, als er Rasmi erwähnte?
»Ich bin eine der Glücklichen, eine aus dem alten Volk der Draquer, rothaarig, wie es sich für eine Feuermagierin gehört, ich bin Vollkommenheit, so lehrt es uns der Herrscher doch, nicht wahr? Für ihn bin ich nur ein gelungenes Ergebnis seiner Zuchtauswahl, die künftige Mutter weiterer Draquer. Und da Charral ein talentierter Magier ist, wenn er auch sonst nicht zu vielem fähig ist, verpflichtet mich das Gesetz, ihn zu heiraten und seine Kinder zur Welt zu bringen. Wundervolle Aussichten, nicht wahr?«
Ihr Zynismus war so bitter, dass Adeen die Frage beinahe bereute. »Meine Mutter war eine Draquerin«, sagte er.
»Sie war offenbar keine allzu treue Anhängerin des Herrschers, sonst würden wir uns jetzt nicht unterhalten. Tja, Krähe, ich bin ein Beispiel dafür, wie die Gesetze funktionieren sollen, und du bist eines dafür, was passiert, wenn sie es nicht tun.« Talanna schnaubte.
»Aber Ihr –«
Mit einer Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. »Du solltest dir die respektvolle Anrede abgewöhnen, schließlich arbeiten wir zusammen.«
Sie reichte ihm die Hand. Unter ihrer Haut glühte die Wärme ihrer Feuermagie, und Adeen fühlte sich, als würde ein Funke in seinen Körper überspringen. Es kam ganz überraschend und tat fast weh.
Aber wie ist das möglich? Als Krähe kann ich keine Magie spüren …
Talanna blickte ihn an. »Alles in Ordnung?«
Ihr hageres Gesicht war nicht so unwirklich schön, wie er es von ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte. Sie hatte Schatten unter den Augen und kleine Fältchen um Nasenflügel und Mundwinkel. Ihre Lippen waren bleich und spröde, aber der Schwung ihrer schweren Lider, ihrer Nase und der feuerfarbenen Brauen weckte in ihm den Wunsch, sie zu zeichnen. Mit einem Stück Kohle wollte er die leichten Schatten ihrer Wangen einfangen und die freche Krümmung an den Spitzen ihrer ansonsten glatten Haare.
Er schluckte.
»Ja. Danke noch einmal, dass Ihr … dass du mich neulich vor Charral gerettet hast.«
»Vor einer Eheschließung genieße ich noch alle Vorrechte meines Standes und kann gehen, wohin ich will. Aber mein Einsatz scheint langfristig nicht viel genützt zu haben, wenn ich dich anschaue. Mit all den Verbänden siehst du aus wie eine Mumie.«
»Ich fühle mich schon besser.«
Sie verzog leicht die
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