Flügel aus Asche
umgehen … Versteh mich nicht falsch, Adeen. Ich bin nicht … doch, wahrscheinlich bin ich neidisch. Es ist albern, das weiß ich. Ich sollte froh sein, wenn diese Leute nichts auf mich geben, denn ich gebe ja auch nichts auf sie. Trotzdem, früher war ich eine Kämpferin. Jetzt tauge ich nur noch dazu, Klingen zu schärfen.«
Sie klang zornig, aber aus ihrem Ärger hörte Adeen eine Hilflosigkeit heraus, die ihm ins Herz schnitt. Trotzdem lächelte er. »Schau erst mich an – ich schäle Beeren!«
Über seinen hilflosen Witz verzog sie kaum eine Miene, und Adeen fügte ernster hinzu: »Gibt es denn keinen Weg, dir zu helfen?«
Sie schien ihm nicht zuzuhören. »Wenn Rashija gelandet ist, und wenn wir uns denjenigen angeschlossen haben, die unsere Heimat bekämpfen, dann werde ich mir ein Schwert nehmen oder einen Speer, und ich werde mit ihnen zusammen angreifen. Ich habe zwar gelernt, mit der Klinge umzugehen, aber trotzdem werde ich vermutlich nicht allzu lange am Leben bleiben.«
»Glaubst du, Keyla wird dich dazu zwingen?« Der Gedanke behagte Adeen nicht im Geringsten.
»Zwingen? Ich werde es freiwillig tun. Es ist eine gute Sache. Und es ist besser, als hier herumzusitzen.«
»Bitte tu das nicht. Ich würde dich schrecklich vermissen.«
Adeen ließ seine Beeren stehen und legte die Arme um Talanna, und sie strich ihm sacht über die Wange. Wenn ihr einfiel, diese Drohung wahr zu machen, würde er sie einfach festhalten – nein, das konnte er nicht. Wenn er sie nur irgendwie von ihrer Hilflosigkeit ablenken könnte!
»Ich brauche dich«, sagte er, »als meine Lehrerin. Du wolltest mir beibringen, mit dieser Kraft umzugehen. Seitdem wir Rashija verlassen haben, scheine ich mich überhaupt nicht mehr zurechtzufinden.«
Talanna schob ihn von sich. »Du brauchst mich nicht«, sagte sie leise. »Die Kraft selbst wird dich lehren, sie zu benutzen. Ich habe es in der Schlucht gesehen. Dieser Schatten des Vogels … und die Lanze in deiner Hand, aus der auf einmal frische Zweige wuchsen … ich kenne niemanden, Adeen, niemanden, dessen magische Macht sich so schnell entfaltet hätte.« Bitterkeit über den eigenen Verlust lag in ihrer Stimme.
»Mag sein, aber ich habe keine Kontrolle über diese Macht. Ich habe Angst, Talanna. Genau genommen weiß ich nicht einmal, was dort passiert ist. Ich wollte uns schützen, aber wer oder was hat bestimmt, was dann passiert ist? Und wer war ich?« Er suchte nach Worten. »Ich habe mich gefühlt, als würde ich über den Felsen fliegen wie ein großer Vogel, aber in Wahrheit lag ich nur da und war so gut wie bewusstlos, nicht wahr? Währenddessen hätte mir genauso gut jemand einen Pfeil ins Herz schießen können.«
»Magiekundige verlassen ihren Körper manchmal und vertrauen ihren Geist dem Fluss der Elemente an, vor allem, wenn sie sich an Beschwörungen versuchen. So heißt es jedenfalls – ich habe das noch nicht erlebt. Du hast es von dir aus getan, ohne Unterweisung.«
»Es hat mich weggerissen.« Die Erinnerung daran schnürte Adeen die Kehle zu. »Was tue ich, wenn es wieder passiert?«
Talanna musterte ihn. Anstelle der Verbitterung war nun ein nachdenklicher Ausdruck auf ihr Gesicht getreten. »Wann hat es begonnen? Und wie hat es sich angefühlt?«
»Es hat gekribbelt, als wäre meine Haut voller Insekten. Und angefangen hat es in dem Moment …« Grübelnd zog Adeen die Stirn in Falten. »Ja, als Keyla ihren Zauber angewendet hat.«
»Sie verfügt offenbar über einige Macht als Erdmagierin. Ich habe davon gehört, dass solche Dinge passieren sollen: Wenn ein Magier seine Kräfte sammelt, ist er wie eine der Speicherstelen, die wir im Turm auf Gabta gesehen haben. Ein Funke dieser Kräfte kann auf einen anderen Magier überspringen, der sich in unmittelbarer Nähe befindet, so wie sich ein Feuer ausbreitet. Die Sache ist nur …«
»Ja?«
»Bist du ein Erdmagier, Adeen?«
»Das weiß ich nicht. Wie könnte ich?«
»Was du getan hast, würde man wohl eher unter Luftmagie zählen. Obwohl … du hast Blätter aus dem toten Holz der Lanze wachsen lassen. Das war eindeutig Erdmagie.«
»Meine Mutter soll eine Luftmagierin gewesen sein.«
»Und dein Vater?«
»Ein Schreiber aus der Akademie.«
Und plötzlich verstanden sie gleichzeitig einen Teil des Rätsels, der immer offen vor ihren Augen gelegen hatte, zu alltäglich, als dass sie ihn bemerkt hätten.
»Ein Schreiber …«, wiederholte Talanna.
»Ein dunkelhäutiger Schreiber.«
»Ein
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