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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Winzige Ranken aus grünlichem und gelblichem Licht bogen sich davon weg, als wollten sie etwas ergreifen.
    Adeen stieß einen leisen Schrei aus, und Talanna lächelte.
    »Ausgezeichnet! Versuch nun, etwas in deiner Umgebung zu verändern. Siehst du den Ast dort drüben? Stell dir vor, er wäre ein Feind.«
    Ein umgestürzter Baum lag halb im Wasser. Als sie darauf zugingen, flüchtete eine Schar Wasservögel – Enten, wie Adeen gelernt hatte – aus dem Dickicht der Zweige, wo sie Schutz gesucht hatten, und flatterten auf den nebligen See hinaus. Ihr empörtes Schnattern hallte laut durch die Stille. Ein abgestorbener Ast des Baumes erhob sich in die Luft wie ein dürrer Arm. Talanna wies darauf.
    »Ein Feind?«, wiederholte Adeen. »Es ist nur ein Ast.«
    Talanna verzog das Gesicht zu einem matten Grinsen. »Dir muss ich wohl nicht sagen, dass du deine Fantasie anstrengen sollst. Bist du nicht ein Künstler?«
    Darauf lief also alles hinaus? Diente diese warme, intensive Kraft, die er gespürt hatte, also dazu, anderen Schaden zuzufügen? Und doch, erkannte er bekümmert, war genau das bisher fast immer geschehen, wenn die Magie von ihm Besitz ergriffen hatte.
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte Talanna: »Magie ist eine Waffe. Du verfügst über diese Waffe, also nutze sie!«
    Adeen bündelte seine Gedanken und versuchte, im Kopf das Bild von Charral zu erschaffen, Charral mit seinen glatten Händen und dem verächtlichen Lächeln. Es würde ihm doch sicher nicht schwerfallen, ihn …
    Mit einem Rascheln wie von trockenem Laub rann die Magie aus seinen Händen in die Erde und versickerte.
    »Ich kann es nicht.« Adeen kam sich vor wie ein Narr. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Versuch es noch einmal. Vielleicht hilft es dir, wenn du an Waffen denkst, die du kennst, Pfeile, Schwerter, Speere, irgendetwas. Du könntest eine Klinge formen oder einen Wirbel aus heißem Sand oder, was weiß ich, Wurzeln, die deinen Gegner an der Flucht hindern.«
    Adeen seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Gern hätte er alles getan, was Talanna sagte, allein schon ihr zuliebe, aber warum sträubte sich etwas in ihm nur so sehr dagegen?
Kämpf, verrückte Krähe, lern, diese Waffe zu führen, lern zu töten. Du hast es schon getan. Du wirst es wieder müssen.
    Er presste die Lippen zusammen, holte tief Atem und ließ von neuem die Kraft der Erde in seinen Körper fließen, um danach zu greifen. Dieses Mal fiel es ihm schon leichter.
Wenn ich einen Gegner vor mir sehen würde, würde ich auf sein Gesicht zielen, ihm eine Handvoll Erde in die Augen schleudern, damit er mich nicht angreifen kann.
    Ein Wirbel aus Staub und toten Blättern schoss auf den Ast zu, ließ ihn zittern und peitschte das graue Wasser dahinter. Adeen war, als reiße ihn der plötzliche Windstoß mit sich. Er taumelte, verlor das Gleichgewicht und wäre gefallen, hätte Talanna ihn nicht rasch am Arm gefasst.
    Kälte drang in ihn ein, jetzt, da ihn die Magie nicht mehr wärmte. Viel deutlicher als zuvor spürte er plötzlich die feuchte Luft auf der Haut, das Gras an seinen Knöcheln und die rauhe Haut von Talannas Hand.
    »Das hast du gut gemacht!« Talannas Stimme verriet ehrliche Anerkennung. »Zwar noch nicht sehr zielgenau, aber das braucht Übung. In einem wirklichen Kampf wäre es vermutlich leichter, wenn dir Wut und Angst zu Hilfe kommen.«
    Auf leicht unsicheren Beinen ging Adeen auf den Ast zu und betrachtete ihn. An einigen Stellen war die Rinde in Fetzen abgeschält – sein Zauber hatte das verursacht. Fröstelnd rieb er sich die Arme, ihm war ein wenig schwindelig.
Ich bin stark. Ich habe die Kraft, anderen weh zu tun.
Er wusste es, und er begann zu ahnen, was es bedeutete. Auch jetzt spürte er bereits, wie sich die Erdmagie erneut um ihn drängte, in ihm zu sammeln begann und glühte.
Ich habe Macht.
Ein Teil von ihm sehnte sich nach seinem friedlichen Schreibrohr, doch zugleich fühlte es sich … gut an.
    »Adeen?«
    Er wandte sich zu ihr um und sah sie an. Ach, Talanna – schmal und zornig, und so viel gespielte Stärke –, sie hatte nicht gelernt, schwach zu sein, er war es sein Leben lang gewesen. Wie sehr sie der Verlust ihrer Macht getroffen haben musste, begann er nun erst wirklich zu begreifen. Er wünschte, er hätte mit ihr teilen können, was er jetzt besaß.
    »Danke«, sagte er, »danke für deine Hilfe.« Und damit meinte er nicht nur das, was sie ihn eben gelehrt hatte. Er wusste, dass er ohne

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