Flügel aus Asche
wiedergeben, wenn ich könnte!«
Zu seiner Überraschung sah ihn Keyla nur an, dann sagte sie: »Ist schon gut. Ich glaube dir.«
Sie hatte ihn auf die Probe stellen wollen. Sie benutzte diese Toten, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob sie ihm vertrauen konnte oder nicht. Im ersten Moment hätte er ihr am liebsten vor die Füße gespuckt, doch sein Zorn verließ ihn so rasch, wie er gekommen war. »Und Ihr?«, fragte er nur. »Berührt Euch das gar nicht?«
»Es hat mich berührt, als ich ein Kind war und die Himmelsgeborenen meine Eltern holten.« Keyla sprach ruhig, fast gleichgültig. »Komm, Adeen. Wir wollen nach einem Hinweis suchen, was mit dem Fürsten geschehen ist.«
14
Nebel
I m Innenhof des Anwesens ragte das schwarze Gerippe eines Baums auf. Von seinen Ästen hingen verbrannte Leichen mit unkenntlichen Gesichtern. Adeen wandte sich hastig ab, Keyla dagegen musterte die Toten lange. »Einer von ihnen ist möglicherweise Fürst Halan«, sagte sie. »Sagen wir so: Ich hoffe es. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Himmelsgeborenen ihn mitgenommen haben, um Informationen über unseren Aufenthaltsort aus ihm herauszupressen. Oder sie haben das schon vorher erledigt.« Sie runzelte die Stirn. »Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen, am besten über die Grenze nach Tama. Dort warten wir, bis die Truppen der Königin eintreffen.«
Adeen war erleichtert, als sie diesen Ort des Todes verließen, auch wenn er den Gestank nach scharfem Rauch und verbranntem Fleisch noch lange zu riechen glaubte, nachdem sie längst wieder in den Wald eingetaucht waren. Keylas Leute hatten in einem Vorratsgebäude am Rand des Anwesens Fleisch und Gemüse entdeckt, das zwar stark nach Qualm schmeckte, aber noch essbar war. Sie verteilten es unter der Rebellengruppe, und so saßen sie zusammen und kauten schweigend, während Keyla ihnen die schlechten Neuigkeiten mitteilte. Auch Adeen zwang sich zu essen, obwohl ihm noch immer übel war. Er war nun fest entschlossen, sich Keylas Kampf anzuschließen. In Rashija hatte er geglaubt zu wissen, zu welcher Grausamkeit die Oberschicht fähig war, doch nun verstand er, dass er nur einen kleinen Teil des Schreckens erlebt hatte. Was hier auf dem Boden geschah, konnte er kaum fassen. Wenn er etwas tun konnte, um diesen Leuten zu helfen, dann musste er es versuchen, selbst dann, wenn er nicht das Geringste vom Kämpfen verstand.
Die nächsten Tage verbrachten sie in ständiger Bewegung und rasteten jeweils nur wenige Stunden. Zeit, um über alles nachzudenken, was geschehen war, blieb Adeen kaum, so sehr hielt ihn der Wechsel zwischen aufreibenden Märschen, ein paar Stunden Schlaf und hastigem Aufbruch in Atem. Bald war er mit einer Schicht aus Schlamm und Erde bedeckt wie mit einer zweiten Haut, denn Gelegenheit, sich zu waschen, hatten sie nur selten. Wenn er sich umblickte, sah er überall in Gesichter, die ebensolche Schmutzkrusten trugen wie seines. Selbst Talanna unterschied sich im Aussehen von den anderen fast nur noch durch ihre gelben Augen.
Während die Tage vergingen, fühlte sich Adeen allmählich immer weniger als Außenseiter: Keylas Leute mieden ihn nicht mehr, auch wenn sie nur wenige Worte mit ihm wechselten, und er lernte ihre Namen. Selbst mit Gemeinheiten gegen Talanna hielten sie sich nun zurück. Trotzdem machte sich Adeen Sorgen um sie. Ihre Wunde heilte zwar leidlich gut, aber wenn sie durch den Wald lief oder sich abends mit den anderen am Feuer versammelte, blickten ihre Augen oft so starr vor sich, als wäre sie blind. Adeen bemühte sich nach Kräften, herauszufinden, was mit ihr nicht stimmte, doch sie behauptete, dass alles in Ordnung sei. Er vermutete, dass der Verlust ihrer Magie sie quälte, doch er wusste nicht, wie er sie aufheitern sollte. Manchmal lehnte er sich an sie, um sie durch seine Nähe zu trösten, aber jedes Mal wurde ihr Rücken dann zu einer starren Linie, und er zog sich wieder zurück.
Keyla schickte Späher in alle Richtungen aus. Auf diese Weise erfuhren sie, dass die Besatzer einen Teil ihrer Truppen in der Umgebung abgezogen hatten, um die Stadt Rashija während ihrer Landung zu schützen. Das erleichterte ihnen zumindest den Weg über die Grenze. In einer Nacht voller Nebel schlugen sie sich durch ein dorniges Waldstück außer Sichtweite der Wachtürme und erreichten Tama. Doch auch hier gestattete Keyla niemandem, sich auszuruhen, da die Einwohner von Tama allem misstrauten, was über die Grenze kam. Wenigstens
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