Flügel aus Asche
ihrer Ankunft unterrichten sollte. Es hatte angefangen zu nieseln, und sie warteten, in Decken gewickelt und zitternd vor Kälte und Nässe. Schweigend drängten sich Adeen und Talanna aneinander, Schulter an Schulter. Ein Geruch nach verbranntem Holz lag in der Luft, vermischt mit dem des Regens und des faulenden Laubs. In der Nähe erzählte Schwärmer Witze und erzeugte Wellen von halb ersticktem Gelächter, doch Adeen konnte nicht zuhören. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu dem starren Gesicht des sommersprossigen Bogenschützen zurück, und zu der Macht, die er gefühlt hatte.
Ich will diese Kraft wieder spüren.
Das wusste er sicher, und es erschreckte ihn.
»Keyla! Keyla!«
Die Stimme des Boten klang verzerrt vor Angst. Er sprang in die Senke hinab, und auf der Stelle versammelten sich alle um ihn. Selbst im Feuerschein war der Junge bleich.
»Was ist los, Ran?«, fragte Keyla ruhig. »Was hast du gesehen?«
»Es ist alles weg.«
»Was meinst du damit, ›weg‹?«
»Halans Haus, die Hütten … da sind nur noch ein paar Balken und Steinhaufen und jede Menge Asche. Und überall liegen Tote. Auch die Pferde und die Kühe sind tot. Sogar die Hühner. Sie haben alles verbrannt.«
Nachdem er das gesagt hatte, war es so still, dass man den Regen von den Bäumen tropfen hörte.
»Ist die Asche schon kalt?«, fragte Keyla schließlich.
Der Junge zuckte die Achseln.
»Hast du irgendwo Truppen gesehen?«
»Nein. Ich glaube, sie sind weitergezogen.«
Keyla ballte die Faust. »Sie müssen herausgefunden haben, dass Halan ein Verbündeter war. Verdammt, ausgerechnet jetzt! Vielleicht waren es dieselben, die uns überfallen haben. Für den Fall, dass noch andere Rashijaner in der Nähe sind, müssen wir sehr vorsichtig sein, aber ich will sehen, was passiert ist. Schwärmer, Assim, Mortas und Fink, ihr begleitet mich.« Ihr Blick fiel auf Adeen, und sie zögerte kurz. »Du kommst auch mit. Verhalte dich leise.«
Er schluckte. Lieber hätte er nicht gesehen, wovon der Junge gesprochen hatte, aber Keylas Ton gestattete keinen Widerspruch.
Inzwischen zeichneten sich die schwarzen Silhouetten der Bäume bereits wieder gegen einen fahlgrauen Himmel ab. Bald würde es dämmern. Sie kletterten über Zäune, durch Hecken und schlichen über Felder voller Pflanzen, die Adeen nicht kannte. Die Ruine war schon aus der Ferne zu sehen: Wie die Rippen eines Skeletts ragten die versengten Deckenbalken in die Luft. Der Gestank nach Rauch und verbranntem Fleisch war so heftig, dass Adeen den Ärmel auf Mund und Nase presste und versuchte, möglichst flach zu atmen.
Er hatte erwartet, ein zerstörtes Haus und einige verbrannte Hütten zu sehen, aber als sie sich näherten, erkannte er, dass es sich um ein ganzes Dorf handelte. Zahlreiche kleinere Häuser hatten sich um das Anwesen des Fürsten gesammelt; sie bestanden nur noch aus schwarzen Balken und Mauern, sogar die Dachziegel waren in der Hitze zersprungen. Überall roch es nach Tod. Noch surrten keine Fliegen über den Leichen, die auf den Wegen lagen – Menschen, Tiere ohne Unterschied –, und als Keyla mit ihrem Stab in der feuchten Asche stocherte, sprühten zischend Funken auf.
»Etwas früher, und wir wären jetzt ein Teil dieses Gemetzels«, sagte sie.
Sie wirkte erschreckend gelassen. Im Lager hatte sie voller Verachtung und Hass über Rashija gesprochen, doch nun, da ihnen allen vor Augen lag, wozu die Besatzer fähig waren, schwieg sie. Auch Schwärmer, der noch am letzten Morgen so gern geredet hatte, wanderte schweigend durch die Ruinen. Die anderen sicherten die Umgebung. Adeen war, als habe er eine Welt der Toten betreten, in der er der Geist war, der Eindringling. Kälte sickerte in seinen Körper, erfasste ihn so, dass er nicht einmal mehr zitterte. Eben noch hatte er sich schuldig gefühlt am Tod des jungen Bogenschützen. Diese Schuld trug er noch immer, aber nun schien sie ihm nicht mehr so schwer zu wiegen. Verdiente jemand, der solche Taten beging, nicht den Tod?
Plötzlich stand Keyla neben ihm. »Sieh dir an, was dein Volk tut, schwarzer Mann.« Mit dem Stab wies sie auf den verkrümmten Körper einer Frau, die sich im Sterben schützend über ihr Kind geworfen hatte.
Die Kälte in Adeen wurde zur Flamme, zur verzweifelten Wut auf Keyla, die es wagte, ihm einen solchen Vorwurf zu machen, auf alle. »Ich habe damit nichts zu tun!« Er wollte schreien, aber es wurde nur ein Flüstern daraus. »Ich würde diesen Leuten das Leben
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