Flügel aus Asche
gähnte hinter der hohlen Hand. Die Königin sagte freundlich etwas in ihrer eigenen Sprache zu ihm, woraufhin er aufstand, seine Schreibtäfelchen aufeinanderstapelte und, noch immer gähnend, das Zelt verließ.
Nun wäre die Gelegenheit günstig, der Königin alles zu sagen, was ich über Talanna weiß.
Adeen zögerte. Die Königin erschien ihm vertrauenswürdig. Langsam trat er auf sie zu.
Mit einer Hand massierte sich die Königin den Nacken. Sie wirkte übermüdet. »Gibt es noch etwas zu besprechen?«
Adeens Kehle war trocken, sein Herz hämmerte. Er starrte auf die Tischplatte, wo noch immer die aufgerollte Karte lag, Berge, Wälder, Flüsse in Blau. Die fremde Welt, nach der er sich gesehnt hatte, in die Talanna ihm den Weg gewiesen hatte.
»Nein«, antwortete er. »Gute Nacht, Hoheit.«
Anschließend lag er lange in dem Zelt, das man ihm zugewiesen hatte, auf seinem Strohsack und blickte in die schwache Glut der Feuerstelle. Rings um ihn schnarchten die Soldaten, darunter auch Yoluan. Im Gegensatz zu den winzigen Zelten, die er aus Keylas Lager kannte, bot dieses gut zwanzig Personen Platz. Es gab Decken, eine Feuergrube, alles, was nach den Strapazen der letzten Zeit eine komfortable Nacht versprach. Adeen schob einen Arm unter den Kopf, um bequemer zu liegen. Seine Augen brannten, doch er konnte nicht schlafen. Er fragte sich, ob seine Entscheidung, Talanna nicht zu verraten, richtig gewesen war. Hatte er überhaupt entschieden, oder hatten nicht vielmehr seine Gefühle die Entscheidung getroffen?
Sie mag eine Verräterin sein, aber ich bin kein Verräter.
Doch das waren nur Worte. Auf den guten Klang von Worten würde es nicht ankommen, wenn im Kampf die Soldaten starben, die jetzt neben ihm schliefen.
Er musste Talanna im Auge behalten. Das war alles, was er tun konnte.
Während der nächsten Tage beobachteten sie, wie sich Rashija langsam vom Himmel herabsenkte. Das kalte Licht des Frühwinters glänzte auf den Türmen der Akademie und des Herrscherpalasts, so dass es Adeen vorkam, als müsse er nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren. Die fliegende Stadt war den ganzen Tag über in ihrer düsteren Schönheit zu sehen. In Kürze werde sie auf einem erloschenen Vulkan aufsetzen, wo sich die verdrehte Spitze des Felsens an ihrer Unterseite in den Boden graben konnte wie ein Anker. Schwärmer zeigte Adeen den Vulkan. Es war kein Berg wie jeder andere dieser Region, und er war Adeen schon vorher aufgefallen: Breit und bedrohlich nahm er den ganzen nördlichen Horizont ein. Während der untere Teil grün und bewaldet war, zeigten die felsigen, rotgelben Hänge darüber verwitterte Flächen und helle Abbruchkanten. Ganz oben war der Berg geschwärzt. Schwärmer erzählte, früher habe er bisweilen Rauch ausgespien, und es hieß, dass vor langer Zeit sogar flüssiges Feuer die Hänge hinabgeflossen war, um alles zu verbrennen, worauf es traf. Obwohl der Berg tatsächlich etwas Unheilvolles ausstrahlte, fiel es Adeen schwer, eine solche Schauergeschichte zu glauben.
Dort sollte Rashija also landen, dort würde die Schlacht stattfinden.
Endlich hat meine Reise ein Ziel,
dachte Adeen säuerlich.
Ob Talanna bemerkte, dass er sie beobachtete? Wenn ja, ließ sie es sich nicht anmerken. Aber sie tat nichts Verdächtiges, kümmerte sich um die Ausrüstung der Soldaten, erschien zu den Besprechungen, wenn die Königin sie rufen ließ, und ging ansonsten allen aus dem Weg. Mit ihren eingefallenen Wangen wirkte sie übernächtigt und elend. Der Anblick tat Adeen weh, und er ärgerte sich über sich selbst. Zu gerne wäre er in der Lage gewesen, ihr zu verzeihen, zu ihr zu gehen und sie einfach in den Arm zu nehmen – doch das war er nicht. Er konnte ihr nicht mehr vertrauen.
Immer wieder trafen sie auf verbündete Truppen. Das Feldlager wuchs stündlich. Wenn Adeen auf einen Hügel stieg, konnte er ahnen, wie sich der Ring der Angreifer allmählich um den Vulkan schloss. Die Rebellen hatten ihre Fahnen und Banner zusammengerollt und die glänzenden Metallteile ihrer Rüstungen mit Holzkohle und Erde geschwärzt, um nicht so leicht entdeckt zu werden. Skadas zischten, Menschen riefen, und Adeen wünschte sich, weit fort zu sein von all dieser Unruhe. Auch Einheiten des Feindes sah er, die nahe am Vulkankrater Stellung bezogen hatten. Das Rot ihrer Standarten leuchtete in der Sonne, und nachts glommen ihre Feuer in der Ferne.
Es verging kein Tag, ohne dass Boten ins Lager ritten. Manchmal statteten
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