Flügel aus Asche
der alte Mann stellte keine Fragen.
»Ich glaube, Itsi wartet immer noch darauf, dass ich ihr diese Beeren bringe«, sagte Adeen, um nicht ebenfalls zu schweigen. »Ich bin gleich wieder hier.«
Was, wenn Talanna gar nicht zum Lager zurückkehrte? Wenn sie im Wald blieb, bis die Nacht hereinbrach, wenn sie beschlossen hatte, sich allein durchzuschlagen, so schlecht ihre Aussichten auch standen?
Sie verdient es nicht besser,
wisperte eine Stimme in Adeen. Dennoch gefiel ihm der Gedanke überhaupt nicht.
In weitem Bogen ging er an der Stelle vorbei, wo das Zelt stand, das er mit Talanna und Yoluan geteilt hatte. Der Nebel und die anbrechende Dämmerung ließen ihn nicht viel erkennen, doch deutlich drang das Kratzen des Schleifsteins bis zu ihm hinüber. Talanna war zurückgekehrt und hatte ihre alte Arbeit wieder aufgenommen.
Es würde nicht leicht sein, ihr von nun an aus dem Weg zu gehen.
Weit entfernt von dem Zelt suchte er einen Weg, der ans Seeufer führte, hängte seine Tunika an einen Ast und stieg in das frostkalte Wasser, um sich zu waschen.
15
Pläne
S ich mit Schwärmer ein winziges Zelt zu teilen, war kein Spaß, aber Adeen konnte sich nicht beschweren, nicht gewarnt worden zu sein: Den alten Mann hatte man nicht nur wegen seines Schnarchens zur »Einzelhaft« verurteilt, sondern vor allem weil er ein Schwätzer war. Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit versuchte er, Adeen in Diskussionen über Themen zu verwickeln, die ihm gerade durch den Kopf gingen, und obwohl er ganz offensichtlich ein Mann tiefgründiger Gedanken war, wünschte Adeen sich manchmal nur noch, er würde endlich aufhören zu reden.
Gelegentlich kam Yoluan zu ihm, um ihm beim Arbeiten zur Hand zu gehen. Er fragte nicht, warum er das gemeinsame Zelt verlassen hatte, und Adeen war dankbar dafür. Dennoch hatte er das Gefühl, Yoluan eine Erklärung zu schulden. Doch er schwieg.
Der Nebel hatte sich verzogen und ständigem Regen Platz gemacht, der sanft auf das Lager hinabrieselte. Feuchtigkeit durchtränkte alles. Adeens Kleidung trocknete überhaupt nicht mehr, und er hatte schon fast vergessen, wie es war, wenn man nicht fror. Das Wetter passte zu seiner Stimmung. Wieder und wieder wälzte er sein letztes Treffen mit Talanna im Kopf herum, rief sich ihre Worte ins Gedächtnis zurück, und jedes Mal tat es weh. Lügen, nichts als Lügen. Und er hatte ihr vertraut. Mehr als das. Zugleich suchte ihn die Erinnerung heim an das, was sie miteinander geteilt hatten, an die wärmsten, verrücktesten, glücklichen Augenblicke seines Lebens. Wie gern wäre er ihr wieder nahe gewesen, trotz allem. Aber das kam nun nicht mehr in Frage.
Mit Gewalt musste er sich zwingen, seine Gedanken auf etwas anderes zu richten, und da blieb nur der Krieg. Auch wenn er im schlammigen Elend des Lagers Papier und Farbe gehabt hätte, er wusste, dass kein Bild zu ihm gekommen wäre, kein Vogel, der ihn über die Regenwolken emportrug. Warum sollte er nicht kämpfen? Warum nicht sterben? Auch wenn ihn das Blutvergießen abschreckte, er konnte sich immerhin einreden, dass es für eine gute Sache geschah. Oder nicht?
Er verbrachte viel Zeit außerhalb des Lagers, die Füße im Morast, und versuchte, die Magie in sich zu finden, so wie Talanna es ihm gezeigt hatte. Wenn er nur nicht an sie hätte denken müssen, während er das tat! Allmählich fiel es ihm leichter, die Macht in sich hineinfließen zu lassen und danach zu greifen, und es gelang ihm sogar, der Erde neue Formen zu geben, Dornen und Stacheln, die nach seinem Willen durch die Luft zischten und sich in die Rinde bedauernswerter Bäume gruben. Während sie sich auflösten, sah Adeen das Harz aus den Löchern rinnen, die seine magischen Geschosse hinterlassen hatten. Seine Kehle schnürte sich zu bei der Vorstellung, es könnten menschliche Körper sein, die bluteten.
Im Lager erzählte man sich, der Nebel habe die Landung Rashijas verzögert und den Angreifern Zeit verschafft. Keylas Späher meldeten, dass sich die Königin von Tama mit ihren Truppen ganz in der Nähe befand. Erneut wurde das Lager aufgelöst, das Gepäck verteilt, und die Rebellen machten sich auf, um die potenziellen Verbündeten zu treffen. Zusammen mit Schwärmer und einigen ausgewählten Getreuen gelang es Keyla, eine Unterredung mit der Königin zu erwirken. Erst danach rief sie den Rest ihrer Leute dazu.
Sie kletterten über den Hügel, hinter dem die Truppen angehalten hatten. Der Anblick des Heeres machte
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