Fluegel der Dunkelheit
Jahren konnte er Traians Onkel endlich die gute Neuigkeit
übermitteln.
»Inout, du musst
dich jetzt setzten.« Victor wartete einen kleinen Augenblick, er
genoss es, diesen Satz sagen zu dürfen. »Luca Traian Constantinescu
ist wohl auf. Du kannst herkommen, um ihn endlich nach Hause zu
holen.«
Am Ende der
Telefonleitung blieb es still, bestimmt drei Minuten. Victor meinte,
ein unterdrücktes Schniefen zu hören.
»Bei Dracula!«
Inout schluckte hörbar. »Ist es wahr? Er lebt? Mein Neffe lebt?«
Victor lachte, wie
gut sich das anfühlte. »Ja, Inout! Er lebt und ich denke, du wirst
stolz auf ihn sein.« Sobald Inout mit Traian die Stadt verlassen
hatte, musste sich Victor nicht um dieses Kopfgeld sorgen. Bis dahin
sollte er ein besonders wachsames Auge auf Traian werfen.
Zurück
T raian dachte
nicht daran, sich jetzt zur Ruhe zu begeben. Solange auch nur einer
seiner Peiniger ungestraft herumlief, würde er nicht aufhören,
diese Leute zu beobachten, sie zu hypnotisieren. Victor war sehr um
ihn bemüht, worin er aber noch lange keinen Grund sah, all seine
Geheimnisse mit ihm zu teilen. Diese Angelegenheit ging nur ihn
allein etwas an. Seine Kondition war nach dem Koma wirklich
erbärmlich, so ließ er sich diesmal mit einem Taxi zu seinem Ziel
fahren. Diese Möglichkeit hatte er bisher nicht genutzt, da er den
engeren Kontakt zu Menschen meist vermieden hatte. Doch mit seinem
neuen Lebensgefühl, das er Liana zu verdanken hatte, nahm er eine
nicht dagewesene Lebendigkeit wahr. Wie sehr ihm die Folgen der
Versuche aus dem Keller behindert und eingeschränkt hatten, wurde
ihm erst jetzt durch seine erwachten Sinne deutlich.
Endlich erreichte
das Taxi die kleine Ortschaft Klosterheide. Nachdem Traian den
Taxifahrer mit seinen hypnotischen Worten überzeugt hatte, bezahlt
zu haben, schickte er ihn zurück in die Stadt. In einer kleinen
Ortschaft, wo jeder den anderen kannte, fiel ein haltendes Auto eher
auf, als in der Großstadt. Deshalb ging Traian das letzte Stück zu
Fuß. Zu seiner Überraschung war er nicht der Einzige, der Lu Hong
Sung beobachtete. Traians veränderte Wahrnehmung konnte nicht nur
Vampire spüren, er war auch gegenüber Menschen sensibler geworden.
Zunächst musste er jedoch lernen, diese Flut an neuen Empfindungen
korrekt einzuordnen und das erwies sich als gar nicht so einfach.
Das Grundstück von
Hong Sung grenzte an der Nordseite an einen Wald, während die
Südseite an ein Feld mit einem leichten Gefälle endete. Für Traian
war es nicht schwer, den Mann auf dem Hochsitz am Waldrand zu
entdecken, allerdings sah er keinen Grund, sich dem Kerl zu zeigen.
Zunächst lenkte er seine Wahrnehmung auf das Gebäude, vielmehr auf
Lu Hong Sung. Im Haus brannte kein Licht. Entweder war niemand da
oder der gute Mann gönnte sich seine Nachtruhe. Als sich Traian
konzentrierte, hörte er ein leises Schnarchen.
Großartig! Lu Hong
Sung war also zu Hause. Aber war da nicht noch etwas? Möglicherweise
hatte Hong seit Neustem eine Lebenspartnerin? Nach seinen bisherigen
Beobachtungen lebte der Mediziner allein. Es gab lediglich eine
Putzfrau, die freitags sowie dienstags kam. Traian schloss die Augen,
um sich noch besser auf das zweite Geräusch konzentrieren zu können.
Dieser intensive Sinneseindruck zauberte ein fühlbares Lächeln in
sein Gesicht. Aber nur kurz. Diese Mischung aus Schnaufen und Stöhnen
riefen alte Erinnerungen wach. Die Geräusche kamen definitiv aus
einer anderen Ecke des Hauses.
Traian stockte der
Atem. Hielt Hong einen Vampir, einen Gleichgesinnten in seinem
eigenen Haus gefangen? Quälte er mit seinen abartigen Untersuchungen
jetzt einen anderen? Traian schluckte. Doch seine Angst, von Hong
erneut zum Versuchsobjekt auserwählt zu werden, verflog. Diesem
sterblichen Mensch war er trotz seiner geschwächten Kondition
überlegen. Zumal er heute ihre Vorgehensweise kannte. Es gab keinen
Grund sich zu fürchten. Während er auf das Haus zu schlich, bewegte
sich Traian ausschließlich innerhalb der Schatten von Büschen und
Gebäuden, um nicht von dem Mann auf dem Hochsitz gesehen zu werden.
Zwischendurch riet ihm sein Verstand, den Rückzug anzutreten. Jetzt,
wo er endlich ein normales Leben führen durfte, ohne diese
marternden Kopfschmerzen, brachte er sich in Gefahr. Kein Vampir
konnte das wert sein.
Er war ein Idiot.
Nicht mal Victor würde ihn hier finden. Trotzdem ging er weiter. Das
Gefühl, nach dem Strohhalm Hoffnung zu greifen, während die
Schmerzen einen an den
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