Fluegel der Dunkelheit
Rand des Wahnsinns trieben, wurde zu lebendig.
Wie sehr hatte er selbst den Tag seiner Flucht herbeigesehnt? Heute
stand er auf der Seite der Freiheit und musste nicht tatenlos
miterleben, wie man sich an seinem Körper zu schaffen machte. Heute
bestimmte er selbst über sein Leben, über die Entscheidung, was er
unternehmen wollte. Einen Leidensgenossen zu befreien, fühlte sich
mit dem Wissen seiner Vergangenheit, bestimmt verdammt gut an.
Dicht an der
östlichen Hauswand in einem Gebüsch verborgen drang erneut das
Ächzen und Keuchen an sein Ohr und diesmal wesentlich deutlicher. Er
befand sich also auf dem richtigen Weg. Ein gekipptes Fenster im
Erdgeschoss ermöglichte ihm den Einstieg ins Haus des Mediziners.
Erneut schärfte er seine Sinne, dabei schlich er auf die kleine
Eingangshalle mit der geschwungenen Treppe nach oben. Jetzt konnte er
die Richtung, aus der die Laute kamen, einordnen. Eindeutig kamen die
Geräusche aus der Garage. Von dem Eingangsbereich führte ein
kleiner Flur zur Tür der Garage. Aber natürlich war sie
verschlossen. Von oben dröhnte eine Toilettenspülung. Hong war wach
geworden, schien jedoch nicht herunterzukommen. Suchend sah sich
Traian um. Die meisten Menschen hatten im Flur einen Schlüsselkasten.
Hier gab es natürlich Derartiges nicht. Das wäre ja auch zu einfach
gewesen. Unter der Treppe führte ein weiterer Flur zur Küche. Hier
würde er bestimmt etwas Passendes finden, um die Garagentür zu
öffnen, ohne Hong dabei zu stören. In der Küche gab es einen
Hintereingang zum Garten hinaus. Neben dem Türrahmen auf einem
kleinen Bord lag ein Schlüssel. Im Haus herrschte wieder Stille.
Traian nahm den Schlüssel und probierte ihn an der verschlossenen
Tür zur Garage aus.
Er passte. Das
ersparte ihm ein wenig Fummelei. Jetzt sollte er sich darauf
vorbereiten, eine gequälte Seele vorzufinden. Angespannt schob er
sich durch den Türspalt und machte leise die Tür hinter sich zu.
Vor ihm zur Rechten fand er an der einen Wand einige Werkzeuge, links
stand Hongs Wagen. In der Luft der Garage lag ein sonderbarer Geruch.
Es roch verbrannt, was Traian in seiner Wahrnehmung irritierte. Das
Stöhnen konnte er nicht mehr hören. Er zweifelte, ob er auf dem
richtigen Weg war. Er schloss die Augen, um seinen Empfindungen seine
ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Er spürte Angst, Todesangst und
Schmerzen.
Das ging ihm sehr
nah, kannte er diese Regung selbst nur zu gut. Bewegt öffnete er die
Augen. Entweder gab es unter der Garage einen Kellerraum oder er
stand direkt davor. Sollte der Kofferraum das Gefängnis sein? Er
drückte den Knopf und das Schloss sprang knackend auf. Traian
bemerkte, wie er den Atem anhielt, als er den Kofferraumdeckel in die
Höhe hob. Ein weißes Laken bedeckte eine Erhebung, die mit großer
Wahrscheinlichkeit ein Mensch sein konnte. Ein Vampir war es
definitiv nicht, das spürte er. Sein Magen zog sich schmerzhaft
zusammen, als er zurückdachte, was man alles mit seinen Eltern und
mit ihm angestellt hatte. Was Hong hier wohl versteckte? Traian
schluckte, dann schlug er das Laken zur Hälfte um.
Ein mächtiger Ruck
durchfuhr ihn. Er fühlte, wie er seine Augen aufriss und innerlich
für einen Augenblick erstarrte. Die wunden Stellen riefen marternde
Erinnerungen an den Defibrillator hervor. Diese beißenden
Stromschläge mit dem man dreimal seinen gequälten Körper ins Leben
zurückgeholte hatte, empfand er damals als schmerzhafte
Zerrissenheit, als würde nicht nur sein Leib, sondern seine Seele
explodieren. Er wusste nur zu gut um diese Qual. Umso heftiger
schnürte der Kloß in seinem Hals ihm die Kehle zu. Vor ihm lag
zusammengekrümmt, gefesselt und von Folter gekennzeichnet seine
Retterin. Über ihrem Mund klebte großflächig breites Klebeband.
Angestrengt, angstvoll schnaufte sie durch die Nase. Selbst ihre
Augen hatte Hong zugeklebt. Allein der Anblick, wie man eine Frau,
auch wenn sie menschlich war, nackt und brutal zusammengeschnürt in
einen Kofferraum gepfercht hatte, entfachte seine lodernde Wut in ihm
zu einem Vulkan, der jeden Augenblick auszubrechen drohte. Liana in
diesem Zustand zu sehen, das Wissen um das, was sie offensichtlich
hinter sich hatte, raubte ihm den Atem.
»Hab keine Angst.
Ich werde dich hier raus bringen.« Traian legte einen beruhigenden
Ton in seine Stimme. Liana zuckte unter ihren Fesseln zusammen, ihre
Angst stieg, das spürte er sehr deutlich. »Es ist vorbei. Bitte hab
keine Angst. Ich werde dich jetzt vom
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