Fluegel der Dunkelheit
geschehen. Liana wurde dabei noch mal sehr deutlich, wie
sehr sie den Kleinen liebgewonnen hatte. Obendrein war er Traians
Sohn. Dieses Kind war ein Teil von ihm. Augenblicklich kehrte er
zurück, dieser brennende Schmerz in ihrem Herzen, diese unstillbare
Sehnsucht nach ihm, die ihr den Atem zu rauben schien. Sie nahm Veit
auf den Arm und drückte ihn fest an sich.
Bucuresti sah sie
an. »Ich hätte Ihnen gern diese Geschichten erspart, aber
vielleicht sehen Sie nun die Notwendigkeit, uns zu helfen.«
Bucuresti wirkte etwas entspannter. »Ich würde Lucas Onkel zu gern
erzählen, dass sein Neffe überlebt hat und er nach Deutschland
reisen kann, um Luca nach Hause zu holen. Allerdings widerstrebt es
mir, falsche Hoffnungen zu wecken. Solange Luca unter diesen
Implantaten leidet und ständig irgendwo untertaucht, sehe ich kein
Vorankommen.«
Liana drückte Veit
fest an sich, aber er war kein wirklicher Ersatz für Traian. »Sie
erwarten von mir, dass ich Traian operiere?« Liana entließ Veit auf
den Teppich. »Nach all dem, was ich erfahren habe, was ich selbst
weiß, sehe ich nur eine einzige Chance.« Sie fuhr sich mit den
Händen übers Gesicht, schaute dann zu Victor. »Sie müssen ihn
hypnotisieren.«
Victor lächelte
kurz. »Das wäre schön einfach. Aber leider können sich Vampire
nicht gegenseitig hypnotisieren. Der Gegner merkt das sofort und kann
sich gegen das Eindringen in seinen Geist abschotten.«
Verdammt!
»Aber Traian ist
schwer traumatisiert. Nur eine langjährige Therapie wird ihm helfen,
seine Vergangenheit zu verarbeiten.« Liana sah Traian vor ihrem
geistigen Auge vor sich. Für das, was er hinter sich hatte, schien
er fast normal. Sie musste mit ihm reden, vielleicht war er
aufgeschlossener, als Victor glaubte.
Bucuresti hatte
etwas Flehendes in seinem Blick. »Und? Werden Sie uns unterstützen?«
Nachdem was sie
wusste, gab es gar keine Alternative. »Ich bin bereit, alles in
meiner Macht stehende zu tun.«
Bucuresti lächelte.
Er wirkte, wie von einer schweren Last befreit. »Sie hat uns der
Himmel geschickt!«
Eigentlich war es ja
Alina, die mit ihr in Kontakt getreten war. Jetzt sah sie deutlich
die Zeichen vor sich. Diese tote Frau hatte vermutlich die beiden
Kartensegmente auf den Weg gelegt, sie hatte, wie auch immer, Liana
dazu gebracht, drei Nächte im Wald nach Traian zu suchen.
Unsinn! Oder
vielleicht doch? Eines wusste Liana allerdings noch nicht. »Wie
lange gingen diese Versuche?«
Bucuresti holte
Luft. »Sehr lange«, er presste zunächst seine Lippen aufeinander.
»In Tagen waren es 1797, wenn Sie wollen auch vier Jahre, elf Monate
und eine Woche gewesen.«
Diese Zeitangabe
fühlte sich wie ein Faustschlag ins Gesicht an. »Oh mein Gott!«
Liana meinte ihr Magen würde sich umdrehen. Ein dicker Kloß bildete
sich in ihrem Hals. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Sie
versuchte sich vorzustellen, fast fünf Jahre von Menschen gefangen
gehalten und gequält zu werden. Das musste einen doch in den
Wahnsinn treiben. Allein schon mehrere Wochen hätte sie um den
Verstand gebracht. Die Worte des Anwalts kamen ihr in den Sinn,
»Vampire durchleben bei Blutverlust massive Schmerzen im ganzen
Körper.« Traian hatte all die Zeit über darunter zu leiden gehabt,
fünf endlos lange Jahre! Was hatte sie in dieser Zeit alles gelernt
und erreicht?
Welche immense
Bedeutung eine freie Entscheidung zu treffen für ihn haben musste,
die Möglichkeit dort hinzugehen, wo er wollte, wo es ihm gefiel.
Überhaupt die Tatsache, sich frei bewegen zu können, sah Liana
unter diesen Gesichtspunkten in einem neuen Licht. Was ihr dabei
richtig zu schaffen machte, dass Bettina ihre Arbeitskollegin, die
sie bis vor kurzem noch sehr geschätzt hatte, diese unmenschlichen
Experimente auch noch unterstützt hatte. Viel schlimmer, sie hatte
sich bereit erklärt, einen geschwächten, gefesselten Vampir zu
verführen, um ein Kind zu zeugen und auszutragen. Das war nicht nur
pervers, sondern respektlos. Traian hatte wirklich auf allen Ebenen
bluten müssen.
Erlebnis
M it einem
heißen Bad versuchte sich Liana von diesen bewegenden Erkenntnissen
ein wenig abzulenken. Doch hier kreisten ihre Gedanken nur noch um
Traian, um sein Schicksal. Ihre Sehnsucht, ihn zu sehen, schmerzte,
als würde sich ein Messer in ihr Herz bohren. Hastig setzte sich
Liana auf. Was, wenn er aber gar nichts für sie empfand? Sie lehnte
sich wieder zurück, versank in ihrem duftenden Badeschaum. An jenem
Abend, als sie
Weitere Kostenlose Bücher