Fluegel der Dunkelheit
einen
Verstandesmenschen wie mich.« Sie lehnte sich zurück. »Es muss gut
eine Woche her sein, als ich Traian das erste Mal begegnet bin.«
Liana stand auf, dabei konnte sie doch besser erzählen. Sie rieb
sich mit den Händen übers Gesicht. »Gott, was muss er für
Schmerzen gehabt haben.« Victor und Sergiu hörten ihr aufmerksam
zu, als sie von der ersten Begegnung mit Traian und seiner kurzen
Bewusstlosigkeit erzählte.
»Doamne
Dumnezeule!« Bucuresti verzog seine Miene, die eine Mischung aus
Entsetzen, Sorge und Panik widerspiegelte. »Die Implantate!«
»Verdammt, Sergiu«,
fluchte Victor. »Stell dir mal vor, er liegt irgendwo ohnmächtig im
Wald und die Sonne geht auf!«
Wovon redeten die
beiden eigentlich? »Moment mal! Könnte mich bitte mal jemand
aufklären?« Liana sah zuerst zu Victor, dann zum Anwalt. Dieser
blinzelte und schien seine Gedanken zu sammeln. »Dazu sollten Sie
sich setzen.«
Liana folgte der
Bitte und setzte sich auf die Couch. »Mein Wissen über echte
Vampire ist noch sehr dürftig. Ist da wirklich was dran, dass sie
bei Tageslicht zu Staub verfallen?«
»Nein, so
dramatisch ist es nicht.« Victor versuchte zu schmunzeln, es sah
diesmal recht gequält aus. »Wir erleiden einen schlimmen
Sonnenbrand. Schon nach einer halben Stunde pellt sich die erste
Hautschicht ab, rohes Fleisch kommt zum Vorschein. Ich denke, ich
brauche nicht zu erklären, wie schmerzhaft das ist.«
Liana schüttelte
schaudernd den Kopf. Ihr flaues Magengefühl kehrte zurück.
Bucuresti ergriff
nun wieder das Wort. »Vor ein paar Wochen vertraute mir ein Klient
ein Päckchen mit Unterlagen an. Lediglich sein Tod erlaubte es mir,
das Päckchen zu öffnen. Es wäre eine Art Lebensversicherung. Der
Klient war niemand anderes, als der Bruder ihrer Arbeitskollegin
Bettina Gartetzky.« Er schluckte kurz, bevor er fortfuhr. »Wie Sie
sicherlich inzwischen wissen, gehörte Frau Gartetzky seinerzeit
jenem Ärzteteam an.«
Liana nickte, jetzt
würde sie endlich die Einzelheiten erfahren.
»In diesem Päckchen
befanden sich die Ausweise der drei Vermissten sowie Teile von
Aufzeichnungen über einige Versuche. Auch eine Liste aller
Beteiligten, die im Namen der Wissenschaft diese Untersuchungen
durchgeführt hatten, fand ich darunter.«
Liana spürte, wie
sich ihr Hals eng anfühlte. In ihrem Mund nahm sie einen ungewohnten
Geschmack wahr. »Aufzeichnungen?« Wollte sie wirklich wissen, was
diese Mediziner herausgefunden hatten? Der Einblick von gestern war
furchtbar genug, doch es ging hier um Traian, um seine Vergangenheit,
darum ihn kennenzulernen, um ihn zu verstehen. »Was stand in den
Aufzeichnungen?«
Bucuresti schob
seine Brille zurecht. »Sie sind Ärztin. Überlegen Sie selbst, wie
unter wissenschaftlichen Aspekten die Menschen mit unbekannten Arten
herumexperimentieren, um sie zu studieren. Abgesehen von makaberen
Stromexperimenten, von Temperaturtests, denen Vampire standhalten
mussten, hat man Luca Implantate ins Gehirn eingesetzt.«
Liana schnappte nach
Luft. Eine Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Ihr war, als
hätte ihr jemand heftig in die Magengrube getreten. Mit Mikrochips
hatte sie so gut wie keine Erfahrung, doch eine Bewusstseinsstörung,
wie sie bei Traian erlebt hatte, verhieß nichts Gutes. Sein Leben
war in Gefahr, denn derartige Schäden am Gehirn hatten kaum
Heilungschancen.
Bucuresti wirkte
selbst sehr bewegt, während er weitererzählte. »Alina wurde
künstlich befruchtet,« Seine Stimme klang belegt, »um eine
Mischung aus Mensch und Vampir zu zeugen. Die Zwillinge waren nicht
lebensfähig. In den Aufzeichnungen stand: Vermutlich sind die
Anlagen menschlicher Samen mit dem Ei des Versuchsobjekts nicht
kompatibel. Luca und seine Eltern betitelte das Team als Objekte.
Alina muss sehr lange gelitten haben. Vampiren wird ja
Unsterblichkeit nachgesagt, doch das ist natürlich Blödsinn. Im
Gegensatz zu uns Menschen werden sie mindestens doppelt so alt, aber
auch sie verbluten, wenn sie kein Blut zu trinken bekommen. Sie
leiden Tage, können unter großen Schmerzen Wochen dahin vegetieren,
bis der erlösende Tod eintritt. Die Mediziner haben diese Familie
schändlich missbraucht, Teile, sogar ganze Organe entnommen, um sie
zu untersuchen.«
Liana spürte Tränen
in den Augen. Menschen konnten ja so grausam sein. »Aber wozu?« Die
Vorstellung, was Traian hatte erleiden müssen, was er durchgemacht
hatte, breitete sich als erdrückende Empfindung in ihrem Inneren
aus. Sie
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