Fluegel der Dunkelheit
nach Potsdam gefahren war, hatte er sie aufgesucht.
Demzufolge konnte sie ihm zumindest nicht egal sein. Womöglich war
er aber gar nicht an ihr als Frau interessiert. Auf ihrer
Visitenkarte stand schließlich ›Ärztin für Chirurgie‹. Es wäre
doch denkbar, dass Traian sie vielleicht als Chirurgin aufsuchen
wollte. Gestern hatte er sie so zweifelnd angesehen. Wahrscheinlich
hatte er mit sich gerungen, sie um Hilfe zu bitten. Nein. Das ergab
nicht wirklich einen Sinn, vor allem widersprach es der Tatsache,
dass er sie bei dem Treffen im Wald mit Klingberger hypnotisiert
hatte.
Mit diesem Gedanken
wurde es ihr erst bewusst, er beabsichtigte sie, die erste Begegnung
vergessen zu lassen. Liana grübelte nach dem Grund für sein
Verhalten. Ganz offensichtlich wollte er nicht, dass sie von seinen
gesundheitlichen Problemen Kenntnis hatte. Aber warum fiel es ihr
wieder ein, wieso erinnerte sie sich daran? Davon abgesehen schien es
ihr sehr unwahrscheinlich, dass Traian sich freiwillig einem Arzt
anvertrauen würde. Seine schmerzvolle Vergangenheit hatte mit großer
Wahrscheinlichkeit seine ganze Persönlichkeit verändert und tiefe
Wunden auf seiner Seele hinterlassen. Mit ihrem Wissen, mit ihrer
Geduld, vor allem aber mit ihrer Liebe zu ihm, wollte sie ihm helfen.
Traian! Sie schloss
die Augen, dachte an gestern, wie vorsichtig er die Verletzung an der
Schläfe betupft hatte. Beinah glaubte sie, seine Nähe, seine Stärke
zu spüren, seine Worte der Entschuldigung zu hören. Noch niemals
zuvor in ihrem Leben hatte sie derartig intensive Empfindungen für
jemand gespürt. Ja, sie war verliebt und wie! Sie liebte einen
Vampir. Sie, ein Verstandesmensch, der immer Beweise und Fakten
brauchte, um etwas zu akzeptieren.
Wenig später
verließ Liana das Bad. Ihre Haare verbreiteten einen frischen
Zitronenduft. Das mochte sie sehr. Es erinnerte sie an ihre Kindheit,
wenn Großmutter zum Backen frische Zitronenschale gerieben hatte und
der Duft aus der Küche durch die ganze Wohnung zog. Veit war an
Victors Brust gekuschelt eingeschlafen. Liana schaute sich um. »Wo
ist Bucuresti?«
Victor blickte auf.
»Einkaufen. Er will uns etwas kochen.«
Liana setzte sich
neben Victor. »Essen? Nach diesen Erkenntnissen verspüre ich nicht
die Spur von Appetit.«
Er legte seine Hand
auf Lianas Schulter. »Wir machen nichts ungeschehen, wenn wir eine
gute Mahlzeit auslassen.« Er nahm seine Hand wieder zurück. Liana
stellte fest, dass auch Victor über eine ganz besondere Ausstrahlung
verfügte.
»Nein, natürlich
nicht. Sagen Sie, diese Geschichte mit den Vampirfledermäusen …
glauben Sie, Traian steckt dahinter?«
»Alle drei Opfer
gehörten dem Team von damals an. Finden Sie nicht, das ergibt einen
Sinn? In den Aufzeichnungen war ebenfalls die Rede von
Vampirfledermäusen. Zu einigen Versuchen gab es
Vergleichsprotokolle. Es liegt also nahe, dass man diese Tiere
genauso für Experimente benutzt hat. Luca sah in ihnen
Leidensgenossen und hat sie bei seiner Flucht mitgehen lassen.«
Das passte alles
zusammen, lieferte sogar eine Erklärung, warum Bettina bereits bei
dem ersten Opfer aus der Zeitung so überreagiert hatte. Ihr war
klar, dass Traian dahinter steckte und dass auch sie eines Tages an
der Reihe sein würde. Liana hätte es doch sehr interessiert, wie
viel Bettina über Vampire wusste.
»Aber ansonsten
beißt ihr ... Vampire ... keine Menschen?« Wie albern diese Frage
sich anfühlte.
Victor hob eine
Augenbraue und lächelte. »Aber nein. Sie sind bei mir völlig
sicher.« Das Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. Sie
fühlte sich auch nicht von Victor bedroht.
»Das habe ich nicht
bezweifelt.« Seine Anwesenheit in ihrer Wohnung war ihr keineswegs
unangenehm, nicht zu vergleichen mit Dr. Klingberger. »Ich weiß nur
so wenig über echte Vampire und ich frage mich gerade, wie sie
wirklich sind.«
Victor nickte. »Das
meiste, was über uns erzählt wird, ist überzogen, manches sogar
lächerlich. Normalerweise ernähren wir uns ausschließlich von
tierischem Blut. Überlegen Sie selbst, würden wir zu jeder Mahlzeit
einen Menschen das Blut aus den Adern saugen, dann wäre diese Welt
heute eine ganz andere.«
Liana bemerkte ihr
Lächeln, als sie darüber nachdachte. »Das leuchtet mir ein, so
habe ich es noch nie betrachtet.« Wie auch? Bis vor kurzem kannte
sie Vampire lediglich aus Romanen oder blutrünstigen Filmen. Diese
Verwandlungstheorie war bestimmt auch nur eine Legende. »Sagen
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