Fluegel der Dunkelheit
Sie«,
sollte sie diese Frage wirklich stellen? Ja, sie musste es wissen,
»kann ein Mensch sich in einen Vampir verwandeln?«
Victors Gesichtszüge
wirkten etwas angespannt. »Es gibt hierüber viele Geschichten. Um
ehrlich zu sein, kenne ich niemanden, der mir das bestätigen könnte,
und erlebt habe ich das auch noch nicht. Diese Aufzeichnungen der
Ärzte haben mich in manchen Punkten selbst überrascht.« Victor
senkte den Kopf, er schien nachzudenken, »Ihre beeindruckende
Wahrnehmung und ihre Sensibilität stehen im Gegensatz zu ihrer
Robustheit. Das war der Wortlaut der Mediziner.« Victor schluckte.
Liana fühlte sich
zerrissen. Einerseits hätte sie gern einen Blick in diese Unterlagen
geworfen, andererseits bewegte sie das, was sie wusste, schon genug.
Ganz offensichtlich hatte dieses Team einiges herausgefunden, von dem
Victor selbst als Vampir keinerlei Kenntnis hatte. »Ich werde den
kleinen Racker mal rüber bringen.« Liana nahm Veit vorsichtig auf
den Arm und brachte ihn ins Schlafzimmer, um ihn auf ihr Bett zu
legen. Für einen Moment sah sie in sein Gesicht, suchte nach
Ähnlichkeiten zu Traian. Seine hellbraunen Augen mit den langen
Wimpern, die hatte er definitiv von ihm. Sie deckte Veit zu und sah
anschließend in seine Reisetasche. Nur noch zwei Windeln befanden
sich darin. Sie musste später noch mal los und neue kaufen.
Ganz unten in der
Tasche lag die Plüschfledermaus. Jetzt bemerkte sie ihr Lächeln,
denn vor ein paar Tagen wäre sie nicht im Traum auf die Idee
gekommen, welche Verbindung es zu diesem Plüschtier und seiner
angeblichen Anämie gab. Sie platzierte die Fledermaus neben Veits
Köpfchen. Dabei kam ihr Victors Behauptung in den Sinn, Traian habe
diese Vampirfledermäuse dressiert. Sie konnte sich nicht vorstellen,
einen Menschen mit Hypnose dazu zu bringen, sein eigenes Haus
niederzubrennen. Das schien ihr zu unwahrscheinlich. Sie ging ins
Wohnzimmer zurück, um Victor diese Frage zu stellen.
»Mit normaler
Hypnose vielleicht nicht. Damit kenne ich mich nicht aus. Aber mit
Vampirkräften auf jeden Fall. Ich denke, Luca hat sich einen
Racheplan zurechtgelegt. Systematisch wird er das gesamte Ärzteteam
von damals auf seine Art bestrafen und genau darin sehe ich unsere
Chance, an ihn heranzukommen.« Victor zog die Augenbrauen hoch. Das
tat er oft und es wirkte sehr elegant. »Wir haben den Vorteil im
Besitz der Namensliste zu sein. Alle Beteiligten des Teams sind dort
aufgelistet. Wir müssen nur die verbliebenen Ärzte im Auge
behalten.«
Es klopfte an der
Tür. Victor sprang voller Elan auf. »Das ist unser Essen.«
Bucuresti kam mit zwei prallgefüllten Einkaufstüten in der Hand
herein und, Liana glaubte es kaum, einem Paket Windeln.
»Dass Sie daran
gedacht haben.« Sie nahm ihm das Paket ab.
»Sobald es dunkel
ist, lassen wir Sie wieder in Ruhe.« Bucuresti stellte den Einkauf
in die Küche. »Ich dachte nur, ich könnte mal wieder kochen. Für
mich allein mache ich das so gut wie nie.«
Liana folgte ihm in
die Küche. »Ein Mann, der an Windeln denkt und kochen kann.« Liana
spürte ihr Lächeln. »Sie wären eine gute Partie.«
»Frau Doktor.«
Victor legte seine Hand von hinten auf ihre Schulter. »Ihnen liegt
die Welt zu Füßen und Sie wollen sich an einen einfachen
Rechtsanwalt verschwenden?«
Bucuresti schien es
mit Humor zu nehmen. »Hey! Was heißt hier einfach?«
Wie gut ihr die
beiden jetzt taten. »Wenn das so weiter geht, möchte ich auf keinen
von Ihnen verzichten.« Liana begann die Tüten auszuräumen, doch
Bucuresti drängte sie aus der Küche, sie solle sich noch etwas
ausruhen. Er wollte ein leckeres Essen zaubern, versprach sogar, die
Küche in einem ordentlichen Zustand zu hinterlassen. Dem konnte
Liana nichts entgegenbringen, zumal sie nach all der Aufregung
dankbar war, sich für einen Moment zu Veit zu kuscheln. Nur ihr
Kopfkino ließ sich nicht abstellen. Sie sah Traian vor sich, wie er
sie gestern angestarrt hatte, als sie wieder zu sich kam. Seine
magischen Augen, sein makelloses Gesicht. Was war er nur für eine
arme Seele? Vermutlich war er ein einsamer Kämpfer ohne Freunde,
ohne Liebe, ohne Zuwendung. Nachdem, was dieses Ärzteteam mit ihm
angestellt hatte, wäre es ein Wunder, hätte er keinen psychischen
Schaden erlitten. Am Bedrückendsten dabei empfand Liana diese endlos
lange Zeit von beinah fünf Jahren. Das war für sie unvorstellbar.
Über diese Gedanken
musste sie noch einmal eingenickt sein, denn als die Tür
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