Fluegelschlag
Kind eben gern mit Streichhölzern gespielt. Viele Kinder tun das.«
»Glaubst du das tatsächlich?« Juna nahm die Brille mit den getönten Gläsern ab, die sie neuerdings trug, sobald sie sich in der Öffentlichkeit bewegte. Seit ihrem Aufenthalt in Gehenna schien das Feuer ständig präsent zu sein. Gemeinsam mit Arian hatte sie versucht, es zu bändigen, und bis zu einem gewissen Grad war es ihnen auch gelungen, doch sobald sie sich aufregte oder ärgerlich wurde, loderte es - für jeden aufmerksamen Beobachter deutlich sichtbar - in ihren Augen. Und es wurde immer unberechenbarer.
Arian hatte Juna gebeten, nicht zu verzweifeln. Eines Tages, so versprach er ihr, würde sie ihr Element in den Griff bekommen, so wie auch ihm diese schwierige Aufgabe gelungen war. So etwas braucht Zeit , hatte er gesagt und sie geküsst.
Ein unsterblicher Engel mochte diese Zeit haben. Junas Leben war jedoch bedeutend kürzer, und sie brauchte Antworten. Jetzt.
Nur deshalb sah sie ihrem Vater direkt in die Augen und lächelte zufrieden, als er zurückwich. »Also?«
Er wirkte erschüttert.
Konnte es wirklich sein, dass er keine Ahnung gehabt hatte, welches Erbe in ihr schlummerte? Nein , entschied Juna. Er wollte es einfach nicht sehen. So, wie er immer weggeschaut hatte, wenn ihm etwas nicht behagte.
»Sprich mit deinem Großvater.«
»Herzlichen Dank. Das haben wir …« Sie korrigierte
sich. »Ich habe bereits mit ihm geredet. Aber er behauptet, sich an nichts erinnern zu können.«
»Ja, dann …« Ihr Vater erhob sich.
Juna sprang auf. »Willst du dich wirklich aus der Verantwortung schleichen?« Sie schrie fast. Die sorgsam gehütete Flamme erwachte.
»Achte auf deinen Ton! Ich schleiche mich nicht davon. Ich habe eine wichtige Sitzung im Unterhaus.«
Die Glühbirnen im Kronleuchter flackerten, und die Tür zur Halle sprang auf. »Wer ist meine Mutter, zum Teufel nochmal?« Juna atmete tief durch und ging zur Tür, um sie wieder zu schließen. Dabei bemühte sie sich, ihre Stimme zu dämpfen.
Doch ihr Vater ignorierte diese Bemühungen und sagte kalt: »Diese Sprache dulde ich nicht in meinem Haus!«
Was nun folgte, war eine eindrucksvolle Demonstration der Kräfte, deren Existenz er zu ignorieren versuchte. Eine Stichflamme schoss im Kamin empor und verzehrte im Nu den darin dekorierten Blumenstrauß. Das Porzellan der Vase zersprang, und es blieb nichts übrig, was die Flammen hätte nähren können. Dennoch loderten sie weiter, bis die Ziegel im Schornstein knackten und sogar das Kamingitter zu glühen begann.
Juna legte die Fingerspitzen an die Schläfen und stellte sich ein irdenes Gefäß vor. Als habe es darauf gewartet, sprang das Feuer hinein, und in derselben Sekunde warf sie in Gedanken einen Deckel auf diesen Topf. Die Flammen im Kamin erstarben sofort. Zurück blieben die Spuren ihrer Vernichtung.
Juna setzte die Brille wieder auf. »Willst du etwa behaupten, dass ich das von dir geerbt habe?«
Ihr Vater wirkte erschüttert, dennoch erkannte sie an seinen zusammengekniffenen Lippen, dass er immer noch nicht reden wollte.
Juna sprach jetzt sehr leise, fast wie zu sich selbst. »Mit dem Engelsehen hatte ich mich ja schon abgefunden. Und bevor du das jetzt auch noch abstreitest: John hat diese Fähigkeit ebenfalls geerbt.«
»Nein!« Richard MacDonnell schwankte leicht, schnell setzte er sich auf seinen Stuhl zurück.
»O ja! Und wenn ihn jemand an der Hand genommen und behutsam an diese unfassbare Welt der himmlischen Wesen herangeführt hätte …« Juna stemmte die Arme auf den Tisch und sah ihren Vater über den Rand der Brille hinweg an. »Vielleicht wäre er dann nicht zu dem geworden, was er heute ist. Ein Nekromant und Spieler!« Sie hatte es satt, die Wahrheit aus Rücksicht auf ihre Familie zu verschweigen. »Er wäre dann vielleicht auch nicht aus Angst vor den Elementen, die er rief, seit Wochen untergetaucht. Oder habt ihr in letzter Zeit vielleicht etwas von ihm gehört?«
Insgeheim zweifelte sie daran, dass sich John jemals für einen anderen Weg entschieden hätte. Ihr Halbbruder, das hatte sie dank der Ereignisse im letzten Sommer endlich erkannt, war ein Wiesel, ein geborener Intrigant. Ebenso wie seine Mutter, die einstmals sehr hübsche Bridget Shaftesbury, die Richard MacDonnell nur hatte heiraten können, weil er der Einzige gewesen war, der niemals verstanden hatte, dass ihre Familie aus einer Bande von Verrätern und Vorteilsnehmern bestand.
Wie auf ein Stichwort sprang
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