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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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abgeben.«

    Juna strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Der Anblick war ungewohnt, denn ihr eigenes Haar verbarg sich nun unter einer asymmetrisch geschnittenen Frisur, die sie erstaunlicherweise jünger erscheinen ließ. Die knapp kinnlangen Haare fühlten sich weich und natürlich an, aber sie standen ein wenig ab und gaben ihr ein koboldhaftes Aussehen. »Wem gehört diese Perücke?«
    »Meiner Tochter, sie hat sie während ihrer Chemotherapie getragen.« In diesem kurzen Satz lag die ganze Leidensgeschichte einer Familie, und Juna hätte gern etwas Tröstendes gesagt, aber Heather redete hastig weiter: »Sie sagt, so lange, wie sie diese Perücke besitzt, kommt der Krebs nicht zurück. Aber genug davon!« Sie reichte ihr noch eine große Mütze. »Jeder hier kennt die Frisur, damit müsstest du aber nun wirklich gut getarnt sein. Sieh mal, dein Hund erkennt dich auch nicht mehr.«
    Tatsächlich schnupperte Finn, der nach einem Verdauungsschläfchen wieder erwacht war, an Junas Hosenbein und wedelte unentschlossen mit dem Schwanz.
    »Ich bin es! Komm, wir wollen ausgehen!«
    Schließlich entschieden sie sich doch, ihn nach einer kurzen Runde im Garten in der Pension zurückzulassen. Ein einohriger Hund war zu auffällig und hätte Juna womöglich trotz ihrer nahezu vollkommenen Verwandlung verraten.
    Gemeinsam fuhren sie zum Pub, und während Heather die wenigen Gäste begrüßte, ging Juna unauffällig zum Münztelefon, das versteckt im Gang zu den Toiletten an der Wand hing. Mit den geliehenen Münzen in der Hand versuchte sie, Cathure zu erreichen.
    Nach dem zweiten Klingeln hob er ab, und Juna schilderte so leise wie möglich, was geschehen war.

    »Das hast du sehr gut gemacht. Bleib, wo du bist, und lass dich möglichst nicht sehen. Die Hütte ist abgelegen, sagst du?« Er schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann stellte er einige gezielte Fragen.
    Im Hintergrund hörte Juna plötzlich Nigellas Stimme, die fragte: »Was ist los?«
    Es raschelte in der Leitung, als verdecke jemand die Sprechmuschel mit der Hand. Trotzdem hörte Juna, wie Cathure sagte: »Nicht jetzt!«
    Das Rascheln hörte auf.
    »Juna, bist du noch da? Gut. Ich schicke dir einen Wagen und kümmere mich um den Rest. Geh nicht wieder zu der Hütte, hörst du? Sobald ich dir Bescheid gebe, kommst du auf direktem Weg nach Glasgow. Wir werden dann über alles sprechen. Und … schöne Grüße von Nigella.«
    Bevor sie etwas entgegnen konnte, war die Leitung tot.
    Sie mochte es nicht besonders, wenn über ihren Kopf hinweg entschieden wurde, aber in diesem Fall - das sah selbst Juna ein - war es vermutlich die beste Entscheidung, Cathure zu vertrauen.
    Nachdem sie ins Pub zurückgekehrt war, entdeckte sie Heather an einem Tisch, der außer mit einer Kerze und dem sanften Schein des Kaminfeuers nicht beleuchtet war. Vor ihr standen zwei Gläser.
    »Es würde seltsam aussehen, wenn wir nichts trinken.« Sie sprach leise, verhielt sich aber ansonsten ganz normal. »Die Leute hier im Pub sind alle aus der Gegend. Für die lege ich meine Hand ins Feuer.« Sie trank einen Schluck. »Ich mache mir solche Vorwürfe. Gestern habe ich mich nur gewundert, wie jemand behaupten kann, dass er auf der Durchreise sei. Die Straße endet doch in Àird Shlèite.
Wir hätten dich niemals allein zur Hütte rausfahren lassen dürfen.«
    »Bitte mach dir keine Sorgen«, sagte Juna und war in Gedanken bereits bei einem anderen Thema. Der Schnappschuss ihrer Mutter hatte zusammen mit allen anderen Dokumenten in ihrer Brieftasche im Auto gelegen. Dennoch wagte sie einen Vorstoß: »Wenn du dein ganzes Leben hier verbracht hast, ist dir dann jemals jemand begegnet, der mir ähnlich sah?«
    Heather sah sie prüfend an, sagte aber lange Zeit kein Wort. »Seltsam, dass du danach fragst. Gestern noch habe ich zu Mr Brown gesagt, dass du mir bekannt vorkommst. Er wusste sofort, was ich meine.« Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände … ein bisschen so, als suche sie nach Halt. »Ich war damals noch Schulmädchen und kann mich nicht mehr so gut erinnern. Ich weiß nur, dass es hieß, eine Künstlerin wäre in das leerstehende Cottage oberhalb vom Gillean Strand eingezogen. Erst wollte das niemand so recht glauben, denn die Gegend …« Heather senkte die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Die Gegend dort oben soll verwunschen sein. Niemand weiß, wem das Land gehört. Sobald jemand versucht, in das Haus hineinzugehen, soll ein Feuer

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