Fluegelschlag
Erotische Träume und eine Libido, die Amok läuft. Vielleicht sollte ich schnellstmöglich zum Arzt gehen, um mir Beruhigungsmittel zu besorgen.
19
N ach einem kurzen Spaziergang durch den Park saß Juna nun an dem großen Tisch und schlug die Zeitung auf. Sie hatte sich noch nicht in der Klinik zurückgemeldet und genoss es, sich mit ihrem Frühstück Zeit zu lassen. Gerade blies sie über die volle Tasse in ihrer Hand, da klopfte es an einer der Fensterscheiben zum Dachgarten.
Juna schrak zusammen. Der Tee schwappte über ihren Toast, und mit einem lautlosen Fluch stellte sie die Tasse zurück auf den Tisch. War ihr Traum prophetisch gewesen und hatte Arians Rückkehr vorausgesagt? Als sie sich erwartungsvoll umdrehte, schlug ihr Herz wie wild.
»Du!«
Vor der Tür stand kein anderer als der Marquis und machte ihr Zeichen, dass er hereinkommen wollte.
»Hau ab!«, rief Juna durch die geschlossene Scheibe. »Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
Die Raumtemperatur stieg so rasch, dass ihr in Sekundenschnelle der Schweiß auf der Stirn stand. Juna riss sich die Strickjacke herunter, blieb mit einem Armband im Ärmel hängen und zog noch heftiger. Plötzlich gab es einen Donnerschlag im Kamin, wie bei einer Verpuffung, und sie sah entsetzt zu, wie die Flammen herausschossen. Wie böse Ungeheuer versuchten sie, den Steinfußboden zu überspringen, um auf den Teppich zu gelangen. Von dort wäre es
nicht mehr weit bis zum Sofa. Die Kerzen flackerten aufgeregt und brannten in unnatürlicher Geschwindigkeit herunter. Verzweifelt versuchte Juna, ihre Nerven zu beruhigen. Einatmen - ausatmen! Einatmen …
Doch dann stand der Marquis mitten im Raum, und sie beobachtete fasziniert, wie er - einem Dompteur gleich - die Arme ausbreitete und mit einer Drehung des Handgelenks zuerst das Inferno im Kamin beruhigte und dann die Flammen erstickte, die von den heruntergebrannten Kerzen bereits auf den antiken Sekretär übergesprungen waren.
»O nein!« Sie sprang auf und lief zu dem zierlichen Möbel, einem der wenigen Stücke, die sie aus ihrem Zimmer im Haus des Großvaters mitgenommen hatte. Ein schwarzer Fleck verunstaltete die Tischplatte. Es roch nach verbranntem Holz und Papier. Die Ecke eines zoologischen Lehrbuches, das sie sich kürzlich von einem Kollegen aus der Klinik geliehen hatte, war ebenfalls verkohlt. Als sie es aufschlug, um den Schaden zu begutachten, zerfielen die Seiten zwischen den Buchdeckeln zu Asche.
»Jetzt muss ich es neu kaufen!«
»Seit wann ist es so schlimm?«
Juna fuhr herum. Ihr lag bereits eine giftige Antwort auf der Zunge, da sah sie in seinem Gesicht eine Spur von Mitgefühl.
Als hätte sie ihn bei etwas Ungeheuerlichem ertappt, blickte der Marquis kurz zur Seite. Danach war jegliche Emotion wie fortgewischt.
Sie traute ihm nicht, aber noch weniger traute sie sich selbst. Wie lange würde es noch dauern, bis das Feuer in der Öffentlichkeit die Macht übernahm, bis Menschen zu Schaden kamen?
»Seit er fort ist«, sagte sie, und ihre Stimme klang so schwach wie sie sich fühlte. Seit Arian nicht mehr bei ihr war, hatte sich das Feuer verändert. Es war stärker geworden, als dränge es mit Gewalt aus ihr heraus.
»Das habe ich mir gedacht.« Der Marquis durchquerte den Raum, bis er den großen Esstisch, der beinahe schon eine Tafel war, erreicht hatte. »Komm.«
Als sie zögerte, zog er einen Stuhl vor und setzte sich. »Bitte.« Wie von Geisterhand wurde ein weiterer Stuhl abgerückt.
Juna folgte der einladenden Geste und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. »Telekinese?«, fragte sie.
»Nein, mein Fuß.« Der Marquis zeigte nach unten.
Zuletzt hatte sie dieses koboldhafte Lächeln, das den ganzen Dämon zu verwandeln schien, in Gehenna gesehen. Juna wurde merkwürdig warm, als sie daran dachte, wie sie sich ihm damals fast an den Hals geworfen hatte.
»Wie fühlst du dich?«
»Ausgebrannt.« Sie hatte geantwortet, ohne zu überlegen. Jetzt musste sie fast lachen. Ihr Leben war so unglaublich geworden, dass man es eigentlich nur mit Humor nehmen konnte. »Also gut. Angenommen, du kannst mir helfen, dieses Höllenfeuer zu beherrschen, dann solltest du mir erst einmal erklären, warum es in letzter Zeit so mächtig geworden ist.«
»Nichts leichter als das. Zuerst einmal: Die Quelle ist neutral. Eine Unterscheidung zwischen Engels- und Höllenfeuer gibt es nicht.«
»Also hatte ich doch Recht.« Juna dachte daran, wie sie versucht hatte, Arian von ihrer Theorie zu
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