Fluegelschlag
überzeugen. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, in Erinnerungen zu
versinken, deshalb verdrängte sie ihre aufkeimende Sehnsucht ganz schnell wieder und sah den Marquis erwartungsvoll an.
»Du hast es geahnt? Sehr gut. Diese Tatsache zu akzeptieren, erleichtert den Umgang mit dieser Macht erheblich. Um zu klären, was mit dir passiert, sollte ich wissen, seit wann du Kontakt hast.«
»Mit dem Feuer?« Sie dachte an die brennenden Gardinen in ihrem Kinderzimmer, den unerklärlichen Brand im Klassenzimmer ihrer neuen Schule, nachdem sich ein Mitschüler über ihren schottischen Akzent lustig gemacht hatte. »Seit meiner Kindheit. Genauer gesagt, seit ich nach London umgezogen bin.«
»Und dieser Umzug gefiel dir nicht?«
»Das kann man so sagen.« Juna sah aus dem Fenster und betrachtete die heraufziehenden Wolken. Sie war froh, dass er ihr Zeit ließ. Schließlich sagte sie: »Es war schrecklich. Meine Stiefmutter glaubte, ich würde es mit Absicht machen.« Sie sah ihm direkt ins Gesicht. »Du warst niemals ein Kind, habe ich Recht?«
»Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«
»Wie alt …?«
Der Marquis hatte wieder seine undurchdringliche Miene aufgesetzt und einen Blick, der schon mächtige Dämonen in die Knie gezwungen hatte. »Wir reden hier nicht über mich. Ist das klar?«
»Entschuldige.«
Junas schnelles Einlenken schien ihn zu besänftigen. »Du kannst froh sein, so spät Kontakt zur Quelle bekommen zu haben. Es hat schon Kinder gegeben, die das Feuer verzehrt hat, weil sie es nicht beherrschen konnten.«
Juna mochte sich das gar nicht vorstellen. »Was ist die Quelle?«
»Du kannst sie dir wie einen brodelnden Vulkan vorstellen. Offenbar hat sich dir durch den Stress ein Seitenarm, einem Lavafluss gleich, geöffnet. Gefährlich, aber nicht zu vergleichen mit der Quelle selbst. Erst später bekamst du direkten Zugriff. Aber dein Vigilie-Freund hat ihre Macht gefiltert, solange er bei dir war.«
Juna erinnerte sich, wie Arian ihr erklärt hatte, dass er sie mit Hilfe des Feuers in Gehenna gefunden hatte und dass er hoffte, von dort über das Feuer mit ihr Kontakt halten zu können. Es kam nicht selten vor, dass sie meinte, seine Nähe spüren zu können. All dies wies darauf hin, dass der Marquis die Wahrheit sagte.
Aber Juna wollte etwas anderes wissen: »Wieso hatte ich auf einmal unmittelbaren Zugriff? Ich habe doch nichts gemacht …« Arian hatte keine Antwort auf diese Frage gewusst.
»Du erinnerst dich an den kleinen Zwischenfall in Gehenna?«
Hörte sie da etwa Verlegenheit heraus? »Du meinst die Sache mit den Satyrn?« Juna begriff. »Da hast du mir das Feuer genommen und es erst später wieder zurückgegeben! Dabei ist es passiert.«
Er sagte nichts.
Das war auch nicht notwendig. Juna war sicher, dass es daran gelegen haben musste, denn seither fühlte sich ihr Feuer auch anders an. Ursprünglicher, wilder. »Heißt das etwa, dass ich jetzt auch durch dich …« Bei dem Gedanken, eine so enge Verbindung zu einem Dämon zu haben, wurde ihr ein wenig schwindelig. »Kannst du die Situation deshalb
so leicht kontrollieren, wenn bei mir mal wieder die Sicherungen durchbrennen?«
»Nein, Juna.«
Seine Stimme umfloss sie wie ein kühler Bergbach. War dies die Macht, die ihn das Feuer mit dieser Leichtigkeit beherrschen ließ? »Ich bin … war ein Engel. Es ist unsere zweite Natur. Wir, die verstoßenen wie die himmlischen Engel, sind Teil dieser Kraft. Du aber bist nur ein Mensch.« Er lehnte sich vor und strich mit den Handknöcheln über ihre Wange. »Wenn auch ein ganz besonders faszinierendes Exemplar.« Dabei schenkte er ihr dieses seltene Lächeln, das sie beinahe vergessen ließ, mit welcher Art von Engel sie an einem Tisch saß.
Juna ängstigte der Hunger, den sie in seinen Augen las. Was wollte er wirklich von ihr? Schnell stand sie auf und sagte das Erstbeste, was ihr einfiel, um die merkwürdige Stille, die sich über den Raum gelegt hatte, zu unterbrechen: »Ich brauche jetzt einen Kaffee. Kann ich dir etwas anbieten?«
Der Marquis war so schnell hinter ihr, dass sie vor Schreck einen Schrei ausstieß. Er umfasste sie, seine Hände lagen flach auf ihrem Bauch und zwangen Juna, sich zurückzulehnen, bis sie seinen Körper spürte.
»Ist es das, was du mir anbieten willst?«
Aus Angst, er könnte es als Einladung missverstehen, wagte Juna es nicht, sich zu bewegen … nicht einmal Luft zu holen, um zu antworten.
»Lektion Nummer eins: Achte genau auf deine Worte,
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