Fluegelschlag
ihre Freiheit.
Sie sah die Szene noch genau vor sich, und eines war klar: Damals hatten weder der Marquis noch seine Gehilfen die Wohnung betreten. Als sie Cathure dies sagte, sah er sie lange prüfend an.
»Ich werde einige Tage nicht in der Stadt sein. Wenn irgendetwas ist, informiere Santandér. Er weiß, wo ich zu finden bin.«
»Okay. Wann brauchst du das Auto zurück?«
»Das kannst du behalten. Es gehört ohnehin Arian.«
Sie glaubte ihm nicht. Woher sollte Arian ein solches Auto haben? Dennoch war sie froh. Ein neues hätte sie sich gar nicht leisten können, aber manchmal mussten die Tierretter auch ihre eigenen Fahrzeuge benutzen, und deshalb war es wichtig, dass sie eines besaß.
Cathure nahm ihr Schweigen als Zustimmung. »Versprich mir, dass du vorsichtig bist.« Damit wandte er sich zum Gehen.
»Natürlich. Und Cathure …« Er drehte sich um und blickte sie ruhig an.
»Danke!«
Dieses eine Wort zauberte ein so kurzes Lächeln auf seine Züge, dass sie es nicht gesehen hätte, wäre ihr Lidschlag eine Nanosekunde eher gekommen.
Als Cathure fort war, strich Juna ihrem Hund über den Kopf. »Du Armer. Hat dich das Feuer erschreckt? Bist du deswegen fortgelaufen? Oder war es der Dämon? Weißt du was, wir fahren in unserem schicken neuen Auto raus aufs Land und machen einen ausgiebigen Spaziergang!«
Finn blickte sie an, als habe er jedes Wort verstanden, dann trabte er zur Tür.
Juna hatte sich für ihren Aufenthalt in Schottland vierzehn Tage lang freigenommen. Erst hatte sie in der Klinik Bescheid geben wollen, dass sie früher als erwartet wieder in der Stadt war. Doch wahrscheinlich hätte sie sich damit nur den Zorn der Sekretärin zugezogen, wenn die abermals die Dienstpläne hätte ändern müssen.
Die Aussicht auf ein paar freie Tage in den eigenen vier Wänden hob ihre Laune. Vielleicht würde sie auch nach Edinburgh fahren, um ins Museum zu gehen oder einfach nur durch die Straßen zu bummeln. Cathure hatte ihr zum Glück nicht verboten, das Haus zu verlassen - vermutlich, weil er wusste, dass es sinnlos war.
Sie würde sich nicht verstecken, egal, wie viele Attentäter hinter ihr her waren. Und in einem hatte der Marquis Recht: Wenn sie das Feuer beherrschte, konnte es ihr nützlich sein. Auch bei der Abwehr eventueller Verfolger.
Eine knappe Stunde später parkte sie ihren Wagen am
Ufer der Carron-Talsperre, schnürte die Wanderstiefel zu und ging los. Finn lief voraus und kam gleich darauf mit einem Stock im Maul zurück, den er so stolz trug, als habe er Höchstleistungen vollbracht, um seine Beute zu erlegen.
Es war kühl, aber nicht kalt. Die Sonne schien, und der Wetterbericht hatte nichts Besonderes vorhergesagt. Mit anderen Worten: Es würde möglicherweise regnen, doch dafür hatte Juna vorgesorgt. Neben einem kleinen Picknick steckten noch ein wasserdichtes Cape und ein Handtuch für Finn in ihrem Rucksack.
Juna hatte sich für einen Weg entschieden, der durch den Wald auf die Ausläufer der Berge führte, die gen Norden höher wurden. Bei klarem Wetter wie heute hatte man von dort einen fantastischen Blick auf den Stausee, hinter dessen Ufer sich weitere Hügel erhoben. Ein Boot glitt über die Wasseroberfläche, und Juna spekulierte, ob es dem Fischer gehörte, der am anderen Ende des Sees im Sommer eine Angelschule betrieb. Als Kind war sie oft mit ihrem Großvater hier herausgefahren. Er hatte sich ein Boot wie dieses geliehen, und sie waren hinausgefahren, hatten den Motor abgestellt und ihre Angeln ausgeworfen. Schweigend hatten sie viele Nachmittage auf diese Weise verbracht, miteinander und der Welt zufrieden. Seite an Seite, Enkelin und Großvater.
Juna machte ein paar Fotos, gönnte Finn ein Stückchen von der mitgebrachten Wurst und machte sich dann an den Abstieg zum Seeufer.
Nachdem damals ihr Interesse an den wochenendlichen Angelausflügen nachgelassen hatte, hatte Juna die Stadt für sich entdeckt. Schmale Gassen, faszinierende Geschäfte, Kinos … Hauptsache, ihre Welt war voller Menschen. Ihre
Begeisterung für das urbane Leben war für sie auch einer der wenigen Pluspunkte ihres Zwangsumzugs nach London gewesen.
Inzwischen fühlte sie sich aber in der Natur wieder sehr viel wohler. Beide Vorlieben waren Extreme, das wusste sie, und entschuldigte ihre neue Begeisterung für die wilde Landschaft Schottlands damit, dass hier draußen niemand Schaden nehmen würde, falls ihr hitziges Temperament wieder einmal mit ihr durchging. Die
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