Fluegelschlag
lachte. »Sofern man die überhaupt als harmlos bezeichnen kann.«
Juna horchte auf. »Ist es denn ungewöhnlich, wenn Engel viel unterwegs sind?«
»O ja! Die meisten - ach was, eigentlich alle - gehen normalen Berufen nach. Ärzte, Feuerwehrleute und eben auch Psychologen … Als wollten sie der Menschheit tatsächlich helfen.«
»Fällt es nicht auf, dass sie niemals altern?«
»Es ist empörend. Dein Engel scheint dir überhaupt nichts beigebracht zu haben.« Sie rang theatralisch ihre Hände. »Was habt ihr beide eigentlich die ganze Zeit getrieben? Nicht, dass mich das etwas anginge. Für solche Fragen bin ich ja nun auch zuständig.« Beruhigend tätschelte sie Junas Schulter. »Sie werden älter. Jedenfalls glauben das die Menschen um sie herum. Und eines Tages … ist es halt vorbei.«
Juna wusste, was sie meinte. Irgendwann starb die Geliebte des Engels, und für viele von ihnen begann dann jedes Mal aufs Neue die kritische Phase der Entscheidung: unter den Menschen weiterleben oder zu ihrem Feind werden? Gehennas Verführer verstanden sich nicht nur darauf, Menschen in das feine Netz ihrer Lügen und Versprechungen zu locken.
Sirona war ein bisschen blass geworden, als sie an ihre Zukunft dachte. Doch nachdenkliche oder gar trübsinnige Stimmungen hielten bei ihr nie lange an. Sie sprang auf. »So, und damit wir unser kurzes, armseliges Leben genießen
können, habe ich beschlossen, dass wir heute ausgehen.«
Plötzlich bekam Juna große Lust darauf, einen Abend in der Stadt zu verbringen.
»Wollen wir in das neue Pub in der Nähe der Sauchiehall Street gehen?«
»Im Ernst? Das hat die Welt noch nicht gesehen! Miss MacDonnell geht freiwillig vor die Tür.« Sirona war nicht wenig überrascht, dass sie dieses Mal keine Überredungskünste anwenden musste, und nutzte die Gunst der Stunde. Nicht einmal an Junas Kleidung hatte sie etwas auszusetzen. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass ihre Freundin es sich sonst noch einmal überlegen könnte.
Als sie die rot gestrichene Holztür des Lokals öffneten, kam ihnen ein Schwall warmer Luft und Gelächter entgegen. Der Geheimtipp hat sich offenbar schon herumgesprochen, dachte Juna und tauchte unverzüglich in die Atmosphäre dieses typischen Glasgower Pubs ein.
»Da wird was frei!« Sirona navigierte geschickt und ziemlich rücksichtslos zwischen den anderen Gästen hindurch und erreichte ihren Tisch um Haaresbreite vor einer anderen Frau, die aus der entgegengesetzten Seite kam und offenbar das gleiche Ziel angesteuert hatte. »Sorry, Mädel. Der gehört uns.« Siegessicher warf sie sich auf die gepolsterte Lederbank und zeigte auf einen weniger attraktiven Tisch. »Da ist auch was frei.«
Juna, die das Manöver beobachtet hatte, schüttelte den Kopf. Insgeheim freute sie sich aber, dass ihre Freundin so schnell reagiert hatte, denn der kleine Tisch, an dem maximal drei Personen Platz fanden, stand leicht erhöht und
damit strategisch sehr günstig. Mit etwas Glück würden sie heute Abend etwas zu sehen haben. Juna liebte es, Leute zu beobachten. Eine Unterhaltung würde allerdings schwierig werden, denn der Lärmpegel in dem Pub war beträchtlich, und es strömten immer mehr Gäste herein.
Der Service an der Bar war schnell, und sie erfuhr, dass sie ihr Essen bei einer der jungen Frauen bestellen konnte, die an ihren weißen Blusen und den langen grünen Bistroschürzen zu erkennen waren. Kaum hatte sie die beiden bis zum Rand gefüllten Gläser auf ihrem Tisch abgestellt und sich aus ihrem Mantel geschält, da kam auch schon eine Kellnerin und brachte die Speisekarte.
Sirona schlug sie gar nicht erst auf. Sie wies auf eine Tafel, auf der die Tagesgerichte aufgelistet waren. »Ich nehme einen doppelten Monster-Burger mit Pommes und Salat. Mir ist heute danach.«
Juna gab ihre Karte ebenfalls zurück. »Das klingt wunderbar, für mich auch, bitte.«
Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und am Ende lehnte sich Sirona zufrieden zurück und unterdrückte einen leisen Rülpser. »Es geht doch nichts über gutes schottisches Essen.«
Juna wollte ihr gerade zustimmen, als sie erstarrte. Ein Engel betrat das Pub.
Kein Schutzengel, von denen hier einige auf Stuhllehnen oder auf dem Rand der Balustrade hockten, die den unteren Raum von der Empore trennte. Einen hatte Juna vorhin sogar behutsam beiseiteschieben müssen, weil sie nicht durch ihn hindurchsehen konnten und zudem auch gern in Ruhe essen wollte. Er war erschrocken aufgeflattert und kurz
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